1991 Atlantik Transfer (SM)
kommen, sei es, daß er im Schutz der Nacht an Türen und Fenstern lauschte oder irgendwelchen Dunkelmännern folgte.
Heimlichkeit bei der Arbeit war ihm also nicht fremd. Dennoch, der Einsatz in Mexiko unterschied sich erheblich von allem, was er bisher gemacht hatte. Er kannte Land und Leute nicht und hatte noch nie einen Ganoven vom Format eines Ernst Pohlmann im Visier gehabt. Außerdem ging es hier um ein eher privates Interesse. Die Serie über den Untergang der MELLUM war längst beendet, und aus Rücksicht auf Heinrich Nielson wollte er über die Auffindung der CAPRICHO nichts verlauten lassen.
Es war kurz nach zwei Uhr. Er ging die schmale Privatstraße entlang, an deren Ende die Madrugada liegen sollte. Links und rechts ragten gewaltige Agaven empor, reckten ihre bis zu zwei Meter langen, spitz zulaufenden Arme seitwärts und gegen den mondhellen Himmel. Den ROVER hatte er auf der nach Altzayanca führenden Straße abgestellt, aber nicht vor, sondern ein gutes Stück hinter der Abzweigung. Es war kühl geworden.
Gut, daß er beim Aufbruch noch schnell nach seinem Pullover gegriffen hatte. Schon im Auto, dessen Heizung nicht funktionierte, war er ihm nützlich gewesen.
Er dachte an Heinrich Nielson, der vom Saulus zum Paulus geworden war. Ohne ihn wären Jacob und er jetzt vielleicht nicht mehr weitergekommen. Wie hätten sie wohl einen Einheimischen finden sollen, der bereit und fähig war, bis zum Besitzer der Madrugada vorzudringen? Und selbst wenn es ihnen gelungen wäre, hätte ein solcher Kundschafter jederzeit den Spieß umdrehen und, das bessere Geschäft witternd, denjenigen, den es auszuforschen galt, warnen können. Wirklich, ohne ihren Käpt’n hätten sie es verdammt schwer gehabt! Eine Viertelstunde mochte vergangen sein, als er in der Ferne, abgehoben gegen den klaren Nachthimmel, die Silhouette eines langgestreckten Gebäudes entdeckte, und dann wurde von Minute zu Minute deutlicher, was sich da vorn erhob. Ja, es mußte die Hacienda sein! Schon waren, wenn auch vorerst nur als schwarze Tupfer im weißen Gemäuer, die Fenster des Obergeschosses zu erkennen. Er beschleunigte seinen Schritt, blieb jedoch wenig später abrupt stehen, weil er einen Schatten auf sich zukommen sah, und sprang dann mit einem gewaltigen Satz von der Fahrbahn auf das sandige Feld, lief in gebückter Haltung zu der am nächsten stehenden Agave. Sie war ein mittleres Exemplar, etwa anderthalb Meter hoch. Er hockte sich hinter die dicken, in Bodennähe noch wenig verzweigten Blattschäfte und spähte zur Straße hinüber, sah, daß es ein Radfahrer war, der sich da von der Hacienda wegbewegte. Pohlmann ist es bestimmt nicht, dachte er, und daß Morro den CADILLAC gegen einen Drahtesel eingetauscht hat, glaub’ ich auch nicht. Na ja, was wird schon groß sein? Sicher hat ein Junge eins der Dienstmädchen besucht. Weiter nichts. Jetzt war der Mann auf gleicher Höhe mit ihm. Mexiko läßt nach, dachte Maibohm. Kein Pferd, kein Poncho, nicht mal ein Sombrero, nur ein simpler Radfahrer wie zu Haus in der Rothenbaumchausee …
Er kehrte auf die Straße zurück, setzte seinen Weg fort, und bald hatte er das Anwesen erreicht, war beeindruckt von dessen Größe. Aber etwas anderes beeindruckte ihn noch viel mehr. Auf dem gemauerten Bogen, der das hölzerne Tor nach oben begrenzte, stand: La Madrugada! Es waren mächtige dunkle Buchstaben, eingebrannt in helle Kacheln. Er trat näher, tastete die großen Türblätter ab. Sie ließen sich nicht bewegen. Links und rechts setzte eine etwa zwei Meter hohe Mauer an, die vermutlich das gesamte Areal umschloß.
Obwohl er wenig Hoffnung hatte, irgendwo einen Durchschlupf zu finden, trat er den Weg an, wandte sich nach links, ging dicht an der Mauer entlang. Als er die Ecke erreicht hatte, blieb er stehen. Er hatte gut vierzig Schritte gemacht, nahm an, daß die Mauer rechts vom Portal ebenso lang war, und taxierte die Frontseite also auf sechzig bis siebzig Meter. Ein Blick um die Ecke zeigte ihm, daß dort die längere Seite des Rechtecks verlief. Also mußte der Garten mindestens acht- bis zehntausend Quadratmeter groß sein. Er ging weiter und erreichte eine kleine Tür, die aber auch verschlossen war. Also legte er die Hände auf den Mauerrand, zog sich ein Stück empor, setzte den rechten Fuß auf den metallenen Griff und drückte das Knie durch, konnte aus dieser Position heraus halbwegs bequem über die Kante blicken. Er sah einen großen gepflegten Rasen, ein Schwimmbad,
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