1991 Atlantik Transfer (SM)
später ging die Tür auf, und sofort fragte er:
»Was ist mit meiner Frau und meinem Sohn?«
Die noch sehr junge Schwester hob leicht die Schultern, und mit der Miene des Bedauerns antwortete sie:
» Sorry, I can’t understand. «
Er fragte auf englisch, in welchem Ort er sei.
» In Millsboro, Delaware « , antwortete sie.
»USA?«
» Yes. «
Noch einmal fragte er nach seiner Frau und seinem Kind.
Darauf erklärte sie, sie wisse nichts, aber draußen sei ein Herr, ein Deutscher, der mit ihm sprechen wolle. » Just a moment « , sagte sie und ging hinaus.
Jacob Thaden starrte zur Tür, wartete. Schon nach zwei Minuten hielt er es nicht mehr aus. Er riß die Bettdecke weg, schwenkte die Beine herum und setzte die Füße auf den Linoleumfußboden, wollte auf den Flur hinauslaufen. Aber es ging nicht. Seine Beine versagten, und er fiel aufs Bett zurück. So harrte er, auf der hohen Kante hockend, der einen, alles entscheidenden Nachricht.
Er sah an dem weißen, schmucklosen Nachthemd hinunter, das ihm wie ein riesiger Latz über den Bauch hing und mit dünnen weißen Bändern an Hals und Hüften zusammengebunden war, ließ dann seinen Blick durchs Zimmer gleiten, nahm jedoch nichts wirklich in sich auf. Endlich wurde die Tür geöffnet, und ein Mann kam herein. Er war mittleren Alters, hatte ein leicht gerötetes Gesicht, trug einen Wintermantel und hielt eine braune Pelzmütze in der Hand.
»Guten Tag, Herr Thaden! Mein Name ist Breckwoldt. Ich bin von der Reederei MAHREN HOLT in Bremerhaven. Wie geht es Ihnen?«
Und Jacob Thaden wußte: Das ist der Todesengel, der Bote mit der bösen Nachricht! Sonst wäre er doch hereingestürmt und hätte als erstes gesagt: Ihre Frau und Ihr Junge liegen nebenan! Oder sind in Philadelphia oder in Wilmington oder in New York, jedenfalls irgendwo in einem Zimmer, ähnlich diesem, und nicht verschollen im Atlantik!
Breckwoldt zog sich den Stuhl, der neben dem Waschbecken stand, heran und setzte sich. Obwohl Thaden so gut wie sicher war, fragte er:
»Wo sind meine Frau und mein Junge?«
»Ich muß Ihnen leider sagen, daß kaum noch Hoffnung besteht, sie zu finden.«
Thaden saß immer noch auf der Bettkante. Jetzt legte er sich hin, deckte sich zu.
»Wieviel Hoffnung?« fragte er.
Breckwoldt schüttelte kaum merklich den Kopf. »Eigentlich gar keine. Sehen Sie, seit dem Unglück sind jetzt mehr als drei Tage vergangen. Das ist eine lange Zeit. Sie haben Glück gehabt, trieben mit Ihrer Insel da herum und wurden von einem amerikanischen Kriegsschiff geborgen. Ein ganzer Verband, der in Norfolk stationiert ist, war unterwegs und hatte vorher – das allerdings durch Zufall – eine andere Rettungsinsel gefunden.
Auf der waren Wolbrügge, also der Bootsmann, und zwei Filipinos. Die haben berichtet, und dann wurde natürlich gesucht.
Leider hat man nur Sie noch bergen können. Na, und als die Schiffe nahe genug an der Küste waren, wurden Sie und die anderen drei in Hubschraubern an Land gebracht.«
»Was … ist eigentlich passiert?«
»Man weiß es noch nicht genau.«
Thaden fragte mechanisch, als hätte er eine Rolle auswendig gelernt. Alles war unwichtig geworden, seit er wußte, daß es für Sigrid und Arndt kaum noch Hoffnung gab. So hätte er nun auch schweigen können, aber er fragte und war auch bereit zum Antworten, denn vielleicht würde der Dialog ja doch noch an einen Punkt geraten, der es sinnvoll erscheinen ließ, nachzufassen.
»Was sagt der Bootsmann?« fragte er.
»Den hat die Explosion im Schlaf überrascht, wie übrigens die meisten, denn es war ja morgens Viertel vor vier. Wolbrügge kann sich die Geschichte auch nicht erklären. Er weiß nur, daß an Steuerbord eine schwere Detonation stattgefunden hat. Die MELLUM brach auseinander, und das Heckteil sank innerhalb weniger Minuten. Die beiden Boote konnten nicht mehr gewassert werden.«
»Weiß er etwas von meiner Frau und meinem Jungen?«
»Er hält es für möglich, daß sie, zusammen mit einigen Besatzungsmitgliedern, auf einer der Rettungsinseln Platz gefunden haben. Eine wurde übrigens leer gefunden.«
»Mein Gott! Heißt das, daß sie gekentert ist?«
»Vielleicht. Es kann aber auch ganz anders gewesen sein.
Manchmal passiert es, daß man eine Insel oder sogar ein Rettungsboot zu Wasser läßt, dann aber in der entstandenen Panik die Bergeleine verliert, so daß das Fahrzeug sich selbständig macht, bevor die Leute drauf sind. Bei schwerer See läßt es sich dann auch nicht wieder heranholen. Wir möchten jetzt
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