1991 Atlantik Transfer (SM)
Mexikaner es erhofften, die Republik aus ihrer wirtschaftlichen Misere erlöst, aber dieser Umstand entwertete schließlich nicht das Öl, sondern deckte nur das Mißmanagement auf, und dem konnte abgeholfen werden. Für einen Mann mit Geld gab es daher keinen Grund, sich diesem Geschäftszweig zu verschließen. Ja, er würde am Handel mit dem noch immer wichtigsten Rohstoff dieser Erde, von dem Mexiko so viel besaß, teilhaben. Auch deshalb hatte er sich in der Provinz Tlaxcala niedergelassen.
Von dort waren die Ölzentren, ob nun Madero oder Tampico, Poza Rica oder Minatitlán, schnell zu erreichen, und zudem lag der Nabel der Republik, die Metropole Mexico City, ganze hundert Kilometer von seiner Hacienda entfernt. Doch neben aller Rationalität, mit der er das Projekt angegangen war, gab es auch emotionale Regungen, die ihn dazu bewogen hatten, denn er war nicht frei von Aberglauben und von der Neigung, aus einzelnen Begriffen oder Namen bedeutungsvolle Hinweise herauszulesen. La Madrugada, so hatte nicht er seine Hacienda genannt, nein, sie hatte immer so geheißen, und das war ihm wie ein Wink erschienen, als er zum ersten Mal durch ihre verfallenden Mauern streifte. Schon nach dem ersten Blick auf den in Kacheln eingebrannten und über dem Tor angebrachten Namen hatte er sich das wohlklingende Wort von einem campesino erklären lassen und beifällig genickt. Tagesanbruch oder auch der frühe Morgen waren Wörter, die sich in Einklang bringen ließen mit dem Vorsatz, etwas ganz Neues zu beginnen.
Nach etwa sieben Kilometern verließ er die Straße, bog nach links ab auf einen nur mit Schotter befestigten Weg. Im Rückspiegel sah er, wie der vom Mondlicht weißgefärbte Staub hochaufwirbelte.
Der Schotterweg verlief in nördlicher Richtung und endete nach fünfzehn Kilometern bei dem Dorf Altzayanca. Aber so weit fuhr er nicht. Nach abermals sieben Kilometern, kurz hinter der Ortschaft Zitlaltepec, bog er erneut nach links ab, kam damit wieder auf Asphalt. Nun handelte es sich um seine eigene Straße, die nach zwölfhundert Metern in den mit Kopfsteinen gepflasterten Vorplatz der Hacienda mündete.
Kurz vor Mitternacht erreichte er sein Haus. Der Rottweiler, ein ausgewachsener Rüde, begrüßte ihn mit freudigem Gebell. Das Tier begleitete ihn bis zur Haustür und ließ dann von ihm ab. Er ging über die breite, von der Diele aus nach oben führende Treppe hinauf in die Bibliothek. Joséfina, das jüngste der Hausmädchen, erschien und fragte nach seinen Wünschen. Er bat um Zitronensaft mit Eis. Bald darauf brachte die Siebzehnjährige mit den stark indianisch geprägten Gesichtszügen einen fast bis zum Rand gefüllten Krug und dazu ein rustikales, blauschimmerndes Longdrink-Glas. Er wünschte ihr eine gute Nacht und setzte sich mit seinem Getränk ans Fenster, wo ein kleiner Zedernholztisch und zwei Korbsessel standen. Er schenkte ein und trank. Er trank viel in dieser trockenen Hochlandluft, aber nur selten etwas Alkoholisches.
Er sah aus dem Fenster, und es dauerte nicht lange, da kamen die Erinnerungen. Sie holten die Stunden zurück, die er als Junge am Giebelfenster der Köppler-Villa verbracht hatte, davon träumend, daß irgendwann einmal auch ihm der Blick in den eigenen Garten vergönnt sei.
Beate fiel ihm ein, aber für den nächtlichen Eklat und seinen schmählichen Auszug aus dem Haus an der Aller hatte er jetzt nur ein kurzes Auflachen. Viel ausführlicher dachte er an das zufällige Wiedersehen gut zwei Jahrzehnte später, auf der Bootsausstellung in Hamburg, wo sie für eine der Herstellerfirmen als Hosteß tätig war. Eigentlich wollte er eine Yacht kaufen, verschob es jedoch auf den nächsten Tag, hatte plötzlich nur ein einziges Interesse. Er wollte die alte Schmach, die ihn so oft gequält hatte, ausgleichen. Unverblümt sagte er zu Beate, daß er eine Nacht mit ihr verbringen wollte, und stieß zu seinem Erstaunen auf ihre Bereitschaft. Am Abend trafen sie sich in seinem Hotel, und dann hatte er nicht nur mit ihr geschlafen, sondern darüber hinaus eine noch viel größere Genugtuung erlebt. Er erfuhr, daß die Möbelfabrik den Köpplers nicht mehr gehörte. Beates Eltern lebten zurückgezogen in einer kleinen Hamburger Wohnung, und Raimund hatte seine zweite Scheidung hinter sich. Die Unterhaltszahlungen für die auf der Strecke gebliebenen Frauen und Kinder fraßen ihn auf.
In einem langen, fast gierigen Zug trank er von dem würzigen Saft, setzte das Glas ab, hielt sich noch
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