1991 Atlantik Transfer (SM)
entschlossener Schritt.
Er machte seinen Schulabschluß, begann die Lehre, besuchte aber vom ersten Tag an nebenher eine Abendschule, hielt das aufreibende Doppelprogramm drei Jahre lang durch und hatte dann das Abitur in der Tasche. Nach der Bundeswehr fing er mit dem Studium der Volkswirtschaft an, erzielte, obwohl er sich durch nächtliches Taxifahren den Lebensunterhalt verdienen mußte, glänzende Ergebnisse, machte Examen, und nach zweijähriger Tätigkeit in einer Mineralöl-Gesellschaft trat er in der mittleren Management-Ebene bei der EUROVIT an, reüssierte in dem Baumaschinen-Konzern wie kein Angestellter je zuvor, bekam umfassende Vollmachten, saß bald in der Direktion und schließlich an deren Spitze. Das war eine wahrhaft steile Karriere. Aber sie war ihm nicht zugefallen wie ein Lotteriegewinn, sondern er hatte dafür geschuftet, hatte Arbeitstage gehabt von sechzehn, manchmal achtzehn Stunden und niemals Zeit für sich selbst. Doch nach zwölf Jahren unter seiner Führung begann der Konzern zu schlingern. Durch ungebremste Expansion wuchs die Verschuldung des Milliardenunternehmens bedrohlich an, und es war allein seiner raffinierten Finanzpolitik zu verdanken, daß der Konkurs noch verzögert werden konnte. Mit Hilfe gefälschter Bilanzen gelang es ihm, immer neue Kredite hereinzuholen, und gleichzeitig begann er, Firmengelder für seinen eigenen Bedarf ins Ausland zu transferieren. Bald führten Bankhäuser in Houston/Texas, in New York, Mexico City, Zürich und London Konten, zu denen nur er Zugriff hatte. Im Jahre 1986 erkannte er, daß die EUROVIT, bis vor kurzem in Europa ein Gigant der Branche, nicht mehr zu retten war. Noch einmal kam die ganze ihm innewohnende Energie in Gang, aber nicht zum Wohle des Unternehmens, sondern zu seinem eigenen. Wie er einst geschworen hatte, sich aus den engen Verhältnissen seiner Herkunft zu befreien, so schwor er sich nun, niemals auf jenen kläglichen Stand zurückzufallen, koste es, was es wolle. Er kam aus dem kleinen Leben, hatte sich nach dem großen gesehnt, es schließlich errungen, und er würde es um nichts in der Welt wieder preisgeben.
Immer mehr Geld ließ er ins Ausland fließen, setzte seine weltweiten Kontakte rücksichtslos ein für die Sicherung seiner privaten Existenz. Er hatte ein Bild vor Augen: Ein Zug fährt auf den Abgrund zu, und niemand kann ihn stoppen. Da ist dann nur noch eines zu tun: auf der allerletzten Teilstrecke soviel wie möglich aus den Waggons herauszuschaffen. Und genau das tat er. Das Ergebnis waren zweihundertachtzig Millionen Dollar.
Als er im Januar des Jahres 1990 sein Haus am Tegernsee verließ und nach Antwerpen fuhr, um die mit einem heruntergekommenen Kapitän ausgehandelte Flucht anzutreten, tat er es in dem Gefühl, trotz des in seinem Rücken einstürzenden Konzerns Sieger geblieben zu sein.
Der Mond über Huamantla war derselbe wie der vom Tegernsee, und doch empfand James Hamilton ihn wie ein neues, großes, verheißungsvolles Licht am Himmel. Er hatte die cantina verlassen, hatte dort einen Mescal getrunken und ging nun langsam über die plaza des kleines Ortes zu seinem Jeep, stieg ein und startete. Er verließ Huamantla auf der Carretera 136 in Richtung Osten und durchfuhr dann eine Landschaft, die ganz sicher keiner von denen, die nach ihm suchten, als eine für seine Zuflucht in Frage kommende Region angesehen hätte. Sie war öde und karg, gekennzeichnet von staubigen Feldern, trockenen Flußläufen, dürren Weiden, von Buschwald und dornigen Sträuchern, vergilbtem Gras und Kakteen. Dennoch oder gerade deshalb hatte er sich diese Gegend ausgesucht. Niemand würde ihn hier vermuten. Und völlig trostlos war sie nun auch wieder nicht, jedenfalls nicht das Land, das zur Madrugada gehörte. Dort hatte er für genügend Wasser gesorgt, so daß die Viehhaltung und der Anbau von Mais und anderem Gemüse möglich waren. Den größten Teil des Besitzes machten jedoch die Agavenfelder aus. Indes war ihm der Ertrag seiner Ländereien nicht wichtig. Es kam nur darauf an, daß Luciano Morro den Betrieb in Gang hielt und er selbst im Hintergrund bleiben konnte. In einem halben Jahr, so plante er, würde er mit einem Teil seines Kapitals in jenen Bereich der mexikanischen Wirtschaft vorstoßen, der noch am ehesten Gewinn, mindestens aber Bestand verhieß, ins Ölgeschäft. Die großen Erdölvorkommen auf der Faja de Oro, dem entlang der Golfküste verlaufenden Goldenen Pfad, hatten zwar nicht, wie die
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