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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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spielt, ist die Fahrt zu Ende.«
Dann gingen die beiden. Sie stiegen in ihr Auto und fuhren davon. Es wirkte wie eine Bestrafung und war wohl auch eine, daß der Busfahrer sich draußen eine zweite Zigarette anzündete und gemächlich neben seinem Fahrzeug auf und ab ging.
Aber endlich stieg er doch ein und nach ihm der Junge.
Die Fahrt ging weiter, und es blieb sogar ruhig. Sie holten einen Teil der verlorenen Zeit auf, und so war, als sie in Richmond ankamen, der Bus nach Norfolk noch da.
Thaden stand, seinen Koffer in der Hand, draußen an der langen Fensterreihe, sah hinter den Scheiben auch dieses Fahrzeugs die vielen schwarzen Gesichter. Er hatte immer gemeint, er habe keine Vorbehalte gegen die Farbigen, meinte das auch jetzt noch, wollte aber um keinen Preis den nächsten Anschluß gefährden, den zur Weiterfahrt auf der CAPRICHO, und so stieg er nicht ein, sondern suchte sich ein Taxi.
Sein Fahrer war wieder ein Schwarzer, ein freundlicher, ungefähr fünfundzwanzigjähriger Mann mit Namen Jeremias.
Gleich zu Beginn der Fahrt erzählte Thaden ihm von seinem Erlebnis im Bus. Jeremias lachte über die Geschichte, und dann sagte er:
»Manche von uns sind wie falsch erzogene Kinder. Unsere Eltern haben uns immer wieder erklärt: Ihr seid frei und dürft alles! – Das nehmen wir wörtlich und nehmen es so, als gälte es für jede Situation. Wenn ein Busfahrer mit uns schimpft, glauben wir zuallererst, er will uns unsere Rechte wieder wegnehmen und uns dahin bringen, wo wir früher waren. Das macht uns böse.«
»Ich hatte schon Angst, es könnte zu einer Schießerei kommen«, sagte Thaden.
»Nein, das passiert selten. Im Grunde sind wir friedliche Leute, aber unsere Angst macht uns unsicher, und unsere Unsicherheit macht uns aufsässig, und wenn wir aufsässig sind, verlieren wir schnell das Maß.«
Diese bündige Psychologie überraschte Thaden, und er fragte:
»Was machen Sie, wenn Sie nicht gerade ein Taxi fahren?«
»Ich studiere Archäologie.«
»Oh, dann wäre das Land, in das ich fahre, für Sie wahrscheinlich eine …«, er wollte »Fundgrube« sagen, aber wieder fehlte ihm das Wort, und so wich er aus, »… eine interessante Gegend.
Ich gehe in Norfolk auf ein Schiff und fahre nach Mexiko.«
»Mexiko? Da war ich mindestens ein dutzendmal, meistens in Yucatan, wo noch tausend ungehobene Schätze in der Erde liegen.«
Thaden genoß die Fahrt, nicht zuletzt deshalb, weil keine breite Mammy ihm den Platz streitig machte, aber auch wegen der Unterhaltung. Sie hörten mit ihrem Gespräch erst auf, als sie in Norfolk ankamen. Da war es fünf Uhr morgens. Jeremias brachte ihn zu einem Hotel, und dann verabschiedeten sie sich wie zwei gute Freunde.
Thaden legte sich sofort hin. Er hatte für zehn Uhr einen Weckauftrag erteilt, sicherheitshalber aber auch noch seinen Reisewecker gestellt.
Er schlief durch, bis das Telefon ihn weckte. Nach dem Frühstück ließ er sich in einem Taxi zum Hafen fahren.
Um Punkt zwölf Uhr saß er auf seinem Koffer und sah übers Wasser. Links und rechts und hinter ihm türmte sich die Kohle zu einem schwarzen, archaisch wirkenden Gebirge auf. Gewaltige Lademaschinen füllten die Leiber der Schiffe.
Nach einer halben Stunde sah er, wie die CAPRICHO von Schleppern ins Hafenbecken bugsiert wurde. Um Viertel nach eins war die Gangway heruntergelassen. Er ging an Bord. Kaum hatte er das Schiff betreten, da glaubte er, unter Halluzinationen zu leiden. Der Mann, der ihn an Deck empfing und ihm den Koffer abnahm, war ein Schwarzer. Daß der Steward Conally der einzige Farbige auf der CAPRICHO war, erfuhr er erst später.
Und dann, nach einem Weg durch verwinkelte Gänge und über schmale, steile Treppen, stand er dem Kapitän gegenüber. Es war wie ein Schock: Der große, schlanke Mann mit dem kurzen Grauhaar, den blauen Augen und dem melancholischen Lächeln war ihm auf Anhieb fast unerträglich sympathisch.

8
    Während des Nachmittags hatte Jacob Thaden sich auf der CAPRICHO umgesehen, und obwohl sie so veraltet war und ganz offensichtlich dringend überholt werden mußte, waren doch auf Schritt und Tritt Erinnerungen an die MELLUM in ihm wach geworden. Auch hier gab es die Brücke mit Backbord- und Steuerbordnock, das Heck und die Back, das Captain’s Deck, das Boots- und das Peildeck, die Funkstation und die Messe. Und unter den Männern herrschte die gleiche Rangordnung, nur daß vom Kapitän bis zum Moses alle etwas nachlässiger zu sein schienen als Baumann und seine Crew, und das

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