1991 Atlantik Transfer (SM)
reichte von der Kleidung über Tischsitten bis hin zur Wahl der Gesprächsthemen. Trotzdem, ein Schiff war ein Schiff, der Kapitän hatte das Kommando, es gab einen Wachplan, nach dem der Dienst versehen wurde, sie machten Fahrt, und die große Kulisse des Meeres war nun wirklich die gleiche wie damals.
Es war jetzt halb elf am Abend. Beim Essen hatte er die Offiziere und Ingenieure kennengelernt, soweit sie nicht Wache hatten. Mit besonderem Interesse hatte er sich den Funker Jonas Ellerup angesehen, aber nur wenige Worte mit ihm wechseln können, denn der Däne hatte sein Essen im Handumdrehen verschlungen und war schon nach zehn Minuten wieder gegangen. Nielson war nicht erschienen. Señor Quiroga, der kolumbianische Chief-Ingenieur, hatte ihm gesagt, der Kapitän nehme seine Mahlzeiten häufig allein ein.
Thaden saß in seiner Kabine, die auf dem Captain’s Deck lag. Sie war einfach möbliert und nur etwa zehn Quadratmeter groß. Zu ihr gehörte ein winziges Bad mit WC und Waschbecken und einem an der Wand befestigten Schränkchen, dessen Tür einen Spiegel hatte.
Das Bullauge seiner Kabine ließ sich nicht öffnen. Die Ölfarbe, an der es dem Schiff vielerorts mangelte, war hier so dick aufgetragen, daß Verschluß und Scharnier festsaßen. Er dachte an Heinrich Nielson, war gespannt auf ein erstes Gespräch mit ihm, zu dem es hoffentlich bald kommen würde. Nielson selbst hatte gesagt, daß er sich darauf freue, denn so oft habe er nicht Gelegenheit, sich mit Landsleuten zu unterhalten.
Bei der Begrüßung hatte der Kapitän allerdings zurückhaltend, ja, sorgenvoll gewirkt, und so galt es, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Aber in der Zwischenzeit wollte er nicht untätig sein. In etwa einer halben Stunde, wenn anzunehmen war, daß Nielson schlief, würde er zum Navigationsdeck hinaufgehen, für eine Weile auf einer der Nocks bleiben, aber nicht das nächtliche Meer anstaunen und die Sterne zählen, sondern dieses uralte Passagiervergnügen nur vortäuschen, um dann ganz beiläufig und unverdächtig ins Brückenhaus überwechseln zu können. Die Wache hatte um diese Zeit der Zweite Offizier, ein Jugoslawe, dessen Familienname so schwer auszusprechen war, daß man ihn durchweg mit seinem Vornamen Jesko anredete. Er würde also dem Zweiten und seinem Ausguckmann einen späten Besuch abstatten, sich vielleicht den Kompaß und das Selbststeuer erklären lassen, und dann, ja, dann wollte er versuchen herauszufinden, ob es den einen oder anderen bordinternen Hinweis auf die Februar-Reise der CAPRICHO gab. Wenn es ihn gab, dann nur dort, wo die Navigation stattfand, auf der Kommandobrücke.
Vorerst aber war er noch mit seinem Bullauge beschäftigt, mochte es nicht hinnehmen, daß er die Nacht in stickiger Luft verbringen sollte. Dreimal hatte er nun schon versucht, die Korbmutter des Schraubverschlusses zu drehen, aber die rührte sich nicht. Er verließ seine Kabine, ging ein Deck tiefer, klopfte trotz der späten Stunde beim Steward an und bat ihn um Hilfe.
Wenige Minuten danach machte Conally sich über das Fenster her, steckte eine armlange eiserne Brechstange in den Ring, mußte dann aber feststellen, daß die Hebelkraft nicht ausreichte. Erst als er mit einem schweren Hammer auf die Stange einschlug, sprangen einzelne Farbpartikel von der dicken Schraube ab, und kurz darauf ließ der Ring sich drehen. Sobald das Fenster geöffnet war, rauschte der Fahrtwind in die Kabine.
Conally hatte auch ein Flaschen Öl mitgebracht. Er fettete das Gewinde ein, und dann sagte er: »Aber bei Seegang müssen Sie das Bullauge schließen! Sonst kriegen Sie nasse Füße.«
»Klar«, antwortete Thaden und fuhr fort: »Wie es scheint, haben Sie nur selten Passagiere an Bord, oder kamen die Leute immer ohne frische Luft aus?«
»Ich bin nun schon zwei Jahre auf diesem Schiff, und Sie sind mein erster. Wie sind Sie bloß darauf gekommen, sich die CAPRICHO auszusuchen?«
»Ich hab’ keine Eile, weil ich in den Ferien bin. Außerdem reise ich viel lieber mit dem Schiff als mit dem Flugzeug.«
»Aber mit der CAPRICHO?«
»Die gefällt mir ganz gut. Na ja, sie hat ein paar Schönheitsfehler, aber Hauptsache, sie ist seetüchtig. Ich hab’ gehört, daß sie vor kurzem in New Orleans ein paar Tage festgehalten wurde.
Was war denn da los?«
»Ach, die verdammten Schnüffler hatten bei uns ein bißchen Koks gefunden, und da ging es dem Käpt’n und den meisten anderen an den Kragen.«
»Dann ist Nielson ein ganz neuer
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