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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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»umgänglich« nicht, fuhr daher fort, »sympathischer Mann?«
Der andere nickte. »Ja, das kann man sagen. Er ist übrigens ein Landsmann von Ihnen.«
»Und die Offiziere?«
»Alle an Bord sind freundliche Leute.« Nice people, so drückte der Mann sich aus. Daß zumindest zwei so nice nicht waren – immerhin hatten sie Kokain geschmuggelt – , verschwieg er.
Aber, hielt Thaden ihm zugute, die beiden saßen ja, also war es wohl korrekt, sie nicht mehr zur Crew zu zählen.
Er steckte seine Reise-Unterlagen ein und verabschiedete sich. Ein Taxi brachte ihn zum GREYHOUND-Terminal.
Da die Fahrt erst um Mitternacht losgehen sollte, hatte er Zeit, im Restaurant der Station ein Sandwich zu essen. Kurz vor vierundzwanzig Uhr gab er seinen Koffer ab und stieg ein.
Der Bus war nur zur Hälfte besetzt. Nach der langen Reise – in Deutschland war es jetzt schon sechs Uhr morgens – schlief er bald ein und wachte erst um drei Uhr, kurz vor der Ankunft in Washington, auf. Dort mußte er umsteigen, und so bequem der erste Teil der Fahrt verlaufen war, so entnervend sollte sich der zweite gestalten.
Diesmal war der Bus gefüllt. Thaden bekam in der Mitte einen Fensterplatz, hätte aber lieber einen am Gang gehabt, denn draußen war es dunkel, so daß er von der Landschaft nichts sehen würde, und auf dem anderen Sitz hätte er etwas mehr Beinfreiheit gehabt. Zu seiner Überraschung waren von den etwa fünfzig im Fahrzeug anwesenden Personen der Fahrer und er die einzigen Weißen.
Bis zur Abfahrt fehlten noch ein paar Minuten. Neben ihm saß eine richtige Mammy, etwa fünfzig Jahre alt, groß, stämmig, mit breiten, runden Schultern, von denen die rechte mindestens eine Handbreit in sein Revier hineinragte. Das verhieß nicht gerade bequemes Reisen. Die Hoffnung, weiterschlafen zu können, war zunichte.
Er guckte aus dem Fenster. Ungefähr zwanzig Busse standen auf dem beleuchteten Platz. Zwischen ihnen liefen Passagiere, vorwiegend Schwarze, mit Koffern, Taschen und Kartons umher. Hier und da hingen übermüdete Kinder an den Rockschößen der Erwachsenen. Der Kleidung und den Gepäckstücken nach zu urteilen lebten fast alle diese Menschen in Armut.
Die gibt’s also sogar in Washington! dachte er, aber ihm war natürlich klar, daß die großen Bus-Terminals der Ostküste sich alle glichen und also nichts auf diesem unwirtlichen Platz typisch war für die Metropole der Vereinigten Staaten.
Sigrid und er hatten Washington schon oft als Reiseziel oder zumindest als Zwischenstation erwogen, und bestimmt wären sie eines Tages auch hierhergefahren, hätten sich das Weiße Haus, das Washington-Monument, das Capitol, das Smithsonian, Arlington und vieles mehr angesehen, doch jetzt kam ihm nicht einmal der Gedanke, daß die eine oder andere der berühmten Touristenattraktionen nur ein paar Taximinuten von ihm entfernt war.
Er sah sich im Bus um. Das Licht war noch eingeschaltet. Er bemerkte, daß die meisten der Fahrgäste Radios oder Kassettenrecorder bei sich hatten. Jenseits des Ganges hatten zwei nebeneinandersitzende junge Burschen – der eine war in einen Poncho gehüllt, der andere trug einen Parka – ein geradezu monströses Radio vor sich. Es stand auf ihren vier Knien. Er hoffte, alle diese Geräte seien nur deshalb zum Handgepäck geworden, weil sie für eine Beförderung im Frachtdeck zu empfindlich waren.
Vor ihm saß ein kleiner alter Mann. Sein Graukopf ragte um nicht mehr als einen Fingerbreit über die Rückenlehne hinaus.
Die Frau daneben war wesentlich größer. Ihr Haar war unter einem lila Tuch verborgen. Philemon und Baucis, dachte er, oder Vater und Tochter. Jedenfalls gehörten die beiden zusammen; auf der Suche nach seinem Platz hatte er gesehen, daß sie sich bei den Händen hielten.
Es war laut im Wagen. Die halbe Hundertschaft – fast jedes Lebensalter war vertreten – schnatterte drauflos wie eine ungebändigte Schulklasse.
Der Motor sprang an, und das Licht ging aus. Die Fahrt begann.
Es dauerte eine ganze Weile, bis der Bus in dem von Lichtern übersäten Gewirr der zahllosen Highway-Stränge seinen Weg gefunden hatte.
Und dann war die Hölle los. Zunächst kam von den hinteren Plätzen Radiomusik. Sie war noch zu ertragen, obwohl da kein Wiegenlied, sondern hämmernder Pop ertönte. Aber irgend jemand fühlte sich veranlaßt, darauf zu antworten und sogar dafür zu sorgen, daß seine eigene Musik sich gegen die andere durchsetzte. Im Handumdrehen entstand dann ein allgemeines musikalisches

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