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1991 Atlantik Transfer (SM)

1991 Atlantik Transfer (SM)

Titel: 1991 Atlantik Transfer (SM) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hinrich Matthiesen
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mit!«
    »Sie sprechen gut Deutsch.«
Sie gingen in den hinteren Teil des Brückenhauses, in den Kartenraum, dessen Tür immer offenstand.
»Ja, meine Familie lebt schon lange in Deutschland«, sagte Jesko. Er schaltete eine Lampe ein, deren heruntergedimmtes Licht auf eine ausgebreitete Seekarte fiel. Thaden sah die mit Bleistift gezogene Kurslinie, die in Philadelphia begann, nach Norfolk führte und dann, steil nach unten, südwärts verlief.
Jesko setzte den Zirkel auf die Karte und rechnete halblaut: »Bis Cape Canaveral sind es noch circa fünfhundert Seemeilen. Wir fahren im Schnitt zehn pro Stunde, brauchen also noch fünfzig Stunden, gut zwei Tage. Aber Sie werden, obwohl wir den Nehrstrom ausnutzen und dicht unter die Küste gehen, nichts sehen können, weil es dann Nacht ist.«
Thaden beugte sich über die etwa einen Meter mal siebzig Zentimeter große Karte, betrachtete die gelblichen Landteile, die blauen Küstengewässer und das Weiß des offenen Ozeans.
Er studierte die Zahlenangaben, stellte fest, daß vor Cape Hatteras das Meer nur zweiunddreißig Meter, aber schon zwei Fingerbreit daneben viertausend Meter tief war, gab seinem Erstaunen darüber Ausdruck.
»Die flachen Schelfmeere«, erklärte ihm Jesko, »gehören noch zum Festlandsockel, und wo der aufhört, fällt der Grund steil ab. Das ist überall so. Sehen Sie mal hier, die Bermudas! Der eigentliche Inselsockel ist riesig, aber was wirklich rausguckt aus dem Wasser, ist verschwindend wenig.«
Thaden betrachtete noch eine ganze Weile die vielen Zahlen, die auch in dem weißen Feld große Unterschiede aufwiesen, nahm sie in sich auf: 3720,5238,4312, 2347, 1894,4731 … und machte sich ein Bild von der gebirgigen Landschaft des Meeresgrundes. Schließlich hob er den Blick und fragte: »Werfen Sie die Karte weg, wenn wir in Veracruz angekommen sind?«
Jesko drehte sich um, zeigte auf ein an der Rückwand stehendes Möbel, eine gigantische Kommode, die viele flache Schubladen hatte. »Dann kommt sie da hinein.« Er zog eine der Laden heraus; sie war angefüllt mit gestapelten Seekarten.
»Donnerwetter! Sind das alle Reisen, die die CAPRICHO seit ihrem Stapellauf gemacht hat?«
»Nein, dafür würde der Platz nicht ausreichen. Die alten Karten werden in bestimmten Abständen aussortiert.«
»Darf ich da mal ein bißchen herumstöbern und mir angucken, wo überall das Schiff schon gewesen ist?«
»Bedienen Sie sich! Die letzten Reisen liegen in der obersten Schublade. Sie dürfen Sie gern herausnehmen und unter die Lampe legen.«
Jesko ging wieder zum Rudergänger, und Thaden machte sich an die Arbeit. Er öffnete die oberste Schublade, hob den ganzen Stapel Karten heraus, trug ihn zum Tisch, lud ihn dort ab und ging ihn durch, indem er nur die oberen Kanten umschlug.
Jedesmal, wenn er die Bezeichnung NORTH ATLANTIC, NORTHERN PART las, besah er sich das Blatt genauer, überprüfte die neben der Bleistiftlinie angegebenen Daten. Nur wenige Minuten dauerte es, bis er fand, wonach er gesucht hatte: die Karte der FebruarReise von Belfast nach Philadelphia. Er legte sie nach oben. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, Jesko kehrte womöglich zurück und bekäme mit, welche Reise da einer genaueren Prüfung unterzogen wurde, aber er hatte keine Wahl.
Links sah er die Ostküste der USA, rechts Großbritannien und das europäische Festland. Und da war sie, die Linie, um die es ging! Sie begann bei Belfast, war durch den North Channel gezogen, führte nach Westen und dann, leicht abfallend, über den Nordatlantik in die Delaware-Bay, die Einfahrt zu den Häfen von Wilmington und Philadelphia. Wie auf allen anderen Karten auch, war täglich um zwölf Uhr mittags der Standort des Schiffes auf der Bleistiftlinie vermerkt worden. Flüchtig stellte er fest, daß die Teilstrecken, die jeweils das Etmal, die Leistung von Mittag bis Mittag, angaben, von unterschiedlicher Länge waren; ja, manchmal war der Abstand zwischen zwei Mittagspositionen nur halb so groß wie der Durchschnittswert. Von der MELLUM her wußte er, daß an Tagen mit kurzer Strecke Wind und Strom die Geschwindigkeit vermindert hatten. Er folgte mit dem Finger der Linie von rechts nach links, also in Richtung der Reise, stieß auf das Datum, dem sein Hauptinteresse galt, und dann beugte er sich weit über den Tisch, lauschte nach vorn, vernahm aber nur die Geräusche der Maschine. Wenn Jesko sich wenigstens mit dem Rudergänger unterhalten würde! Dann wäre halbwegs sicher, daß er nicht im

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