1992 - Aufmarsch über Thorrim
Enttäuschung nicht sein können. Der Stern, den die RAQZETT angeflogen hatte, erwies sich als Roter Riese mit nur drei Planeten, von denen zwei atmosphärelose Schlackehaufen und einer eine große Methanwelt war, also für porsche Verhältnisse ein Giftplanet.
Kommandant Worrher wusste, wie gering ihre Überlebenschancen nun noch waren. Sie konnten es mit Mühe und Glück noch bis zum zweiten in Frage kommenden Sonnensystem schaffen, denn das erste sendete immer noch seinen Hyper-Notruf und bezeichnete sich als Bebengebiet, das nur noch kurze Zeit zu existieren hatte. Worrher war so niedergeschlagen wie nie zuvor in seinem Leben. Er trank sein letztes Glas Wasser, dann war sein Kontingent endgültig erschöpft. Er durfte den anderen nicht auch noch ihre letzten Schlucke stehlen. Das heißt, gestohlen hatte er nie. Er hatte nur angenommen, was man ihm freiwillig abgetreten hatte. Aber auch dafür schämte er sich jetzt.
Sein ehemals kugelförmiger Körper war zusammengefallen. Die letzten Nahrungskonzentrate waren seit einem Tag aufgebraucht. Worrher schaffte es kaum noch, Pseudopodien auszubilden. Er lag wie ein nasser Sack in seinem nach hinten gekippten Sessel - bis zu einem gewissen Grade hilflos. Aya blieb tapfer bei ihm, obwohl er bei ihrem eigenen körperlichen Verfall beinahe zusehen konnte. Aber bot er ein anderes Bild? Selbst sein Geist begann schon dahinzuschwinden. Er bildete sich ein, Dinge zu sehen und zu hören, die überhaupt nicht da waren. Sämtliche Ordnung an Bord hatte sich aufgelöst. Besatzungsmitglieder selbst der untersten Ränge kamen und gingen in der Zentrale. Es wurden immer weniger. Die Zahl der Selbstmorde nahm drastischer zu als vorher. Kaum jemand glaubte noch daran, dass eine Rettung möglich wäre.
Das zweite Sonnensystem ... Worrher beneidete die zweihundert Schläfer in ihren Behältern. Sie bekamen nichts von der Katastrophe mit. Sie würden es nicht merken, wenn ihre Versorgungssysteme zusammenbrachen und sich ihre Behälter in Särge aus weißem Metallplastik verwandelten. Das zweite System. Bis dahin waren es nochmals siebzehn Lichtjahre, während das von einem Kesselbeben bedrohte erste nur halb so weit entfernt war.
Worrher verdrehte die Enden seiner Stielaugen, als er wieder für Momente keine Luft mehr bekam. Zu allem Überfluss arbeitete auch die Umwälzanlage nicht mehr einwandfrei, wobei sie ohnehin nur noch gefiltertes Gift transportierte. „Wir werden unseren Nachwuchs niemals sehen", klagte Aya. „Vielleicht ist es gut so. In welche Welt ... würde das Kind hineingeboren werden?"
„Sprich nicht so!" bat Worrher. „Solange wir am Leben sind, muss es Hoffnung geben. Wir fliegen das zweite System an. Ich werde den Autopiloten programmieren und ..." In diesem Moment kam der Cheffunker herein und blieb kurz vor seinem Kommandanten stehen. Er war auf seinen im Vergleich zum Körper schwachen Pseudobeinen gelaufen. Nun brach er vor Worrher zusammen, in seiner Hand eine Folie. „Hier", sagte der Funker. „Lies das, Kommandant ..." Worrher bildete mit großer Mühe ein langes Pseudogliedmaß aus und griff danach. Er zog es bis kurz vor seine Augen und las, so gut er noch konnte. „Schaltet den Spruch in die Zentrale um!" verlangte er, plötzlich wieder aktiver. Erneut begann er zu schwitzen. Man konnte sich fragen, woher er die ganze Flüssigkeit denn noch nahm. „Laut! Ich will es laut hören!" Immerhin dauerte es drei Minuten, bis es soweit war. Ungläubig vernahmen Worrher und .die um ihn herum Versammelten, dass der zweite Planet des ersten Systems nicht von einem Kesselbeben bedroht war, sondern allen Flüchtlingen in der Nähe Asyl anbot. Sie konnten in gewisser Zahl landen oder im Raum bleiben, auf jeden Fall aber ihre Vorräte auffrischen. „Welche Garantie haben wir dass die Bewohner des zweiten Planeten die Wahrheit sprechen, nachdem sie uns vorher offenbar angelogen haben?" fragte Worrher. „Wir haben kein einziges Evakuierungsschiff geortet, das dieses System verlassen hat", antwortete Aya. „Und außerdem - was für eine andere Chance haben wir denn? Das zweite System kann doch genauso öde sein wie dieses hier. Und noch einmal werden wir dann nicht in den Linearraum gehen können ..." Auch sie wirkte mit einemmal zuversichtlicher, wie ein letztes Aufbäumen vor dem so nahe geglaubten Ende. Sie atmete hart und brachte manche Worte nur noch lallend über ihre Membranen, aber noch war sie klar im Kopf, und das gab den Ausschlag. „Wir werden es
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