1992 Das Theunissen-Testament (SM)
Er mußte an den nur zwei Autostunden entfernten Rancho denken, den ursprünglich sein Vetter Hans hatte erben sollen und der, falls alles doch noch zu einem guten Ende kam, irgendwann vielleicht ihm selbst gehören würde.
Er wußte, immer wenn Onkel Claas für ein paar Tage nichts mehr hören mochte von Schiffen und Aktien und sich lieber mit Pferden und Kühen, mit Aussaat oder Ernte, mit Holzschlag und Fischfang beschäftigen wollte, kurzum, mit Regelkreisen, die stärker dem Wirken der Natur als menschlicher Willkür unterworfen waren, hatte er sich dorthin zurückgezogen. Und er selbst hatte es ja ähnlich gehalten, war von Zeit zu Zeit in den Haubarg gefahren, um sich vom Zwang der Geschäfte zu befreien. Jetzt steckte er wiederum in einem Zwang, sogar in einem, bei dem Tod und Teufel Regie führten. Verdammt, dachte er, ich hätte meine Teilnahme am Wettkampf verweigern, also das Erbe oder die Anwartschaft darauf ausschlagen sollen! Dann säße ich jetzt nicht in diesem armseligen Hotel, zerbräche mir auch nicht den Kopf darüber, wie ein Zünder von innen aussieht, liefe nicht mit Bart und falschen Papieren durchs Gelände und wäre nicht getrennt von Jenny und den Kindern.
Er löschte das Licht. Aber als er dann noch eine Weile wach lag im Dunkeln, kehrte sein Kampfgeist zurück. Er malte sich aus, wie Federico und Ernesto ihr Pokerspiel mit der Presse aufziehen würden, und überdachte auch schon die Einsätze in Nassau und Miami.
Am nächsten Mittag landeten sie, diesmal mit einer Maschine der LAN, der LINEA AEREA NACIONAL, auf dem Flughafen von Santiago. Zwei Stunden später waren sie wieder in ihrem Hotel LOS ANDES in Valparaiso.
Inzwischen hatten sie ihren Plan abgeändert. Es war ja sehr fraglich, ob sie später nach Chile zurückkehren würden, und so mußte noch während des jetzigen Aufenthalts ein Kontakt zu der Familie Muñoz gesucht werden. Ernesto sollte daher sofort nach Antofagasta fliegen. Er war denn auch, als Federico beim MERCURIO anrief, schon auf dem Weg zum Flughafen. Olaf aber nutzte die Zeit, um sich endlich die Haare kurz schneiden zu lassen. Danach saß er eine ganze Weile im Hotelzimmer vor dem Spiegel und staunte über die Verfremdung, die der rigorose Eingriff hervorgerufen hatte, war zufrieden mit dem Effekt.
Und Federico ging ins Café RIQUET, das ein Schweizer vor vielen Jahren in der Calle O’Higgins eröffnet hatte und das noch immer in dem Ruf stand, die besten Konditoreiwaren der Stadt, wenn nicht des Landes herzustellen, so jedenfalls die Worte der Reporterin Alejandra Alonso, mit der man ihn verbunden hatte. Er hatte ihr gleich eingangs das Kompliment gemacht, von allen Berichten über den caso del cobre seien ihre die besten. Er selbst, so hatte er erklärt, sei zwar nicht vom Fach, aber doch auch mit Recherchen über den Fall betraut und habe nun großes Interesse daran, sich den beim Anschlag auf die OLGA THEUNISSEN verwendeten Zünder einmal anzusehen, sei auch bereit, dafür zu zahlen. Wieviel, hatte sie gefragt, und darauf hatte er geantwortet, am Telefon wolle er das lieber nicht erörtern. Wie könne sie aber wissen, hatte sie ihm entgegengehalten, ob das Ganze nicht nur ein dummer Scherz sei, und da hatte er erwidert, sie möge ihn doch nach allen Einzelheiten, das gesunkene Schiff betreffend, ausforschen, um herauszufinden, ob er ernsthaft mit der Sache befaßt sei. Er werde ihr keine Antwort schuldig bleiben, handele es sich nun um die Namen des Kapitäns und der Offiziere oder um die Sorten und Mengen der Zuladung oder auch um die Abmessungen des Schiffes. Sie hatte das Frage- und Antwortspiel dann gar nicht erst begonnen, sondern vorgeschlagen, daß sie sich im Café RIQUET trafen, hatte ihm das Haus und seine Vorzüge beschrieben und erklärt, sie sei dort gegen siebzehn Uhr, es könne allerdings bis zu einer halben Stunde später werden.
Nun saß er an einem der vielen kleinen Tische. Es war zehn Minuten nach fünf. Einen Kaffee hatte er sich schon bringen lassen, aber mit dem Kuchen wollte er noch warten. Die Stimme am Telefon hatte ihm gefallen, tiefe Tonlage, leicht belegt. Wie alt Alejandra Alonso wohl war?
Immer wieder sah er hinüber zur Eingangstür. Vorwiegend ältere Frauen kamen herein, wie sie auch an den Tischen in der Überzahl saßen und sich die kompakten Süßigkeiten zuführten. Konditoreibesuche, dachte er, sind wohl noch immer ein Privileg der Matronen. Doch es gab auch Männer in dem Café, einzeln und in Gruppen. Am
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