Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
Tengo.
    »Das war Platon. Der Unterschied zwischen Aristoteles und Platon ist ungefähr der gleiche wie der zwischen Mel Tormé und Bing Crosby. Ach ja, früher war alles einfacher«, sagte Komatsu. »Ist es nicht lustig, sich vorzustellen, dass Verstand, Mut und Begierde eine Konferenz abhalten und eifrig debattierend an einem Tisch sitzen?«
    »Man kann in etwa vermuten, wer den Sieg davonträgt, oder?«
    »Was mir an dir gefällt«, sagte Komatsu und reckte den Zeigefinger in die Luft, »ist dein Sinn für Humor.«
    Welcher Humor?, dachte Tengo. Aber er hielt den Mund.
    Nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, ging Tengo in die Buchhandlung Kinokuniya und kaufte mehrere Bücher. Anschließend suchte er sich in der Nähe eine Bar, um ein Bier zu trinken und zu lesen. Was könnte entspannender sein, als bei einem Getränk in einem Lokal zu sitzen und in ein paar Neuerscheinungen zu blättern?
    Doch aus irgendeinem Grund konnte er sich an diesem Abend nicht auf die Lektüre konzentrieren. Immer wieder tauchte das Bild seiner Mutter vor ihm auf. Es wollte einfach nicht verschwinden. Sie hatte den Träger ihres weißen Unterkleids hinuntergestreift, entblößte eine wohlgeformte Brust und ließ diesen Mann daran saugen. Der Mann war nicht sein Vater. Er war größer, jünger und hatte ebenmäßigere Züge. Der kleine Tengo schlief ruhig atmend und mit geschlossenen Augen in seinem Bettchen. Als der Mann die Brustwarze seiner Mutter in den Mund nahm, trat ein selbstvergessener Ausdruck auf ihr Gesicht. Ihr Ausdruck ähnelte dem seiner älteren Freundin, wenn sie kurz vor dem Orgasmus war.
    Eines Tages, es war schon eine Weile her, hatte Tengo sie gefragt, ob sie ihm zuliebe einmal ein weißes Unterkleid tragen könnte.
    »Klar«, hatte sie gesagt und gelacht. »Nächstes Mal ziehe ich eins an. Wenn dir das gefällt. Hast du vielleicht sonst noch einen Wunsch? Genier dich nicht, du kannst mir alles sagen.«
    »Nein, nur ein weißes Unterkleid, wenn’s geht. Ein möglichst schlichtes.«
    In der Woche darauf kam sie in einer weißen Bluse, unter der sie ein weißes Unterkleid trug. Er zog ihr die Bluse aus, streifte den Träger des Unterkleids hinunter und saugte an ihrer Brustwarze. Genau wie der Mann in seiner Vision, aus dem gleichen Winkel. Dabei überkam ihn ein leichter Schwindel. Er fühlte sich benommen, und Vergangenheit und Gegenwart schienen zu verschwimmen. Eine rasch anschwellende dumpfe Schwere breitete sich in seinem Unterleib aus. Unversehens erbebte er und ejakulierte heftig.
    »Was ist denn los? Bist du schon gekommen?«, fragte seine Freundin erstaunt.
    Tengo wusste selbst nicht genau, was passiert war. Aber er hatte in Höhe ihrer Hüfte auf das Unterkleid ejakuliert.
    »Tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Das wollte ich nicht.«
    »Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen«, sagte seine Freundin beschwichtigend. »Das kriege ich doch unter dem Wasserhahn ganz leicht raus. Das ist doch nur das Übliche . Sojasoße oder Rotwein wären schlimmer.«
    Sie zog das Unterkleid aus und wusch die Stelle mit dem Sperma am Waschbecken aus, dann hängte sie es zum Trocknen über die Stange des Duschvorhangs.
    »Der Reiz war wohl zu stark.« Sie lächelte zärtlich und streichelte Tengos Unterleib mit der flachen Hand. »Weiße Unterkleider haben’s dir angetan, nicht wahr, Tengo?«
    »Ja, vielleicht«, sagte Tengo. Aber warum er sie wirklich um diesen Gefallen gebeten hatte, mochte er ihr nicht erzählen.
    »Du kannst mir deine Phantasien ruhig anvertrauen. Ich mache gern mit. Ich mag auch wilde Phantasien. Leute, die keine Phantasien haben, sind nicht lebendig. Findest du nicht? Soll ich nächstes Mal wieder ein weißes Unterkleid tragen?«
    Tengo schüttelte den Kopf. »Schon in Ordnung. Das eine Mal hat genügt. Danke.«
    Oft überlegte Tengo, ob nicht vielleicht der junge Mann, der in seiner Vision an der Brust seiner Mutter saugte, sein biologischer Vater sein könnte. Das lag vermutlich daran, dass Tengo seinem Vater – dem Mann, der so gewissenhaft die Gebühren für NHK einsammelte – so gar nicht ähnlich sah. Tengo war groß und kräftig, seine Stirn war breit, seine Nase schmal, und er hatte rundliche, zerknitterte Ohren. Sein Vater hingegen war klein und untersetzt und wirkte auch ansonsten nicht gerade imposant. Niedrige Stirn, flache Nase, spitze Pferdeohren. Sein Gesicht unterschied sich so stark von Tengos, dass man geradezu von einem Gegensatz sprechen konnte. Verglichen mit

Weitere Kostenlose Bücher