Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
erlitten und den damit verbundenen Teil ihres Gedächtnisses verloren. Sie ist in einer Art Kommune aufgewachsen und kaum zur Schule gegangen. Ihr Vater war Anführer einer linksextremen revolutionären Zelle und hatte indirekt etwas mit der Schießerei zu tun, zu der es mit der Akebono-Gruppe kam. Er war ein bekannter Kulturanthropologe, bevor er sich zurückgezogen hat. Sollte der Roman Erfolg haben, werden die Medien sich zusammenrotten und eine Menge delikater Einzelheiten ausgraben. Wir kommen in Teufels Küche.«
    »Allerdings, das gäbe einen Skandal, als hätten sich die Tore der Hölle aufgetan«, sagte Komatsu, ohne dass das Grinsen aus seinem Gesicht schwand.
    »Wollen wir den Plan aufgeben?«
    »Aufgeben?«
    »Die Sache wird zu groß. Zu gefährlich. Kommen Sie, wir bringen das Manuskript wieder in seinen ursprünglichen Zustand.«
    »Das geht nicht so einfach. Deine überarbeitete Fassung ist bereits gesetzt worden, es gibt sogar schon Fahnen. Und Fahnen werden, sobald sie gedruckt sind, an den Chefherausgeber und die vier Juroren geliefert. Ich kann jetzt nicht mehr sagen: ›Tut mir leid, alles ein Irrtum. Sie dürfen es jetzt doch nicht lesen, bitte geben Sie alles zurück.‹«
    Tengo seufzte.
    »Nichts zu machen. Wir können die Zeit nicht zurückdrehen«, sagte Komatsu, steckte sich eine Marlboro in den Mund, nahm ein Streichholz aus einer der im Café bereitliegenden Schachteln und zündete sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich lasse mir was einfallen. Du brauchst dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Sollte ›Die Puppe aus Luft‹ den Preis bekommen, werden wir Fukaeri nach Möglichkeit aus der Schusslinie halten. Die Geschichte von der geheimnisvollen Autorin, die nicht in der Öffentlichkeit erscheinen will, dürfte genügen. Ich werde als zuständiger Redakteur die Funktion ihres Sprechers übernehmen. Immerhin kenne ich mich mit dem ganzen Drumherum bestens aus.«
    »Ich will Ihre Kompetenz nicht in Zweifel ziehen, Herr Komatsu, aber Fukaeri ist auch in dieser Hinsicht anders als normale Mädchen. Sie ist nicht der Typ, der schweigend das tut, was andere wollen. Wenn sie sich einmal für etwas entschieden hat, zieht sie es durch, ganz gleich, was man ihr sagt. Man kann ihren Willen nicht beeinflussen, mit Worten kommt man ihr nicht bei. So einfach geht das nicht.«
    Wortlos drehte Komatsu die Streichholzschachtel in seinen Händen.
    »Weißt du, Tengo«, sagte er dann, »jetzt, wo wir so weit gegangen sind, können wir uns nur noch gegenseitig den Rücken stärken. Erstens ist deine Überarbeitung von ›Die Puppe aus Luft‹ eine großartige Leistung. Du hast all meine Erwartungen weit übertroffen. Sie ist im Grunde so gut wie perfekt. Damit bekommen wir den Preis ganz sicher, und die Geschichte wird eine Sensation. Wir können den Plan jetzt nicht mehr begraben. Ich gebe ja zu, dass es eine Art Vergehen ist. Aber wie gesagt, jetzt ist die Sache schon ins Rollen gekommen.«
    »Vergehen?« Tengo sah Komatsu ins Gesicht.
    »Es gibt da einen Ausspruch«, sagte Komatsu. »›Jede Kunst und jede Lehre, desgleichen jede Handlung und jeder Entschluss, scheint ein Gut zu erstreben, weshalb man das Gute treffend als dasjenige bezeichnet hat, wonach alles strebt.‹«
    »Was ist das?«
    »Aristoteles. Die nikomachische Ethik. Hast du Aristoteles gelesen?«
    »Fast gar nicht.«
    »Solltest du aber. Dir gefällt er ganz bestimmt. Als mir mal die Lektüre ausgegangen ist, habe ich angefangen, die griechischen Philosophen zu lesen. Die bekommt man nie satt. Man kann immer wieder etwas von ihnen lernen.«
    »Und was wollte er mit diesem Zitat sagen?«
    »Dass das Ergebnis von allem das besagte Gute ist. Am Schluss kommt bei allem immer etwas Gutes heraus. Zweifeln können wir morgen auch noch«, sagte Komatsu. »Das habe ich gemeint.«
    »Und was sagt Aristoteles über den Holocaust?«
    Komatsus Mondsichelgrinsen vertiefte sich. »Aristoteles spricht an dieser Stelle vornehmlich von der Kunst, der Wissenschaft und dem Handwerk.«
    Tengo kannte Komatsu nicht erst seit gestern. Mittlerweile kannte er ihn in- und auswendig, von vorn bis hinten. Der Mann streifte in der Verlagswelt umher wie ein Wolf, und sein ganzes Leben und Handeln erschien fast willkürlich. Viele ließen sich von seinem Auftreten täuschen. Aber wer sich die Zusammenhänge richtig durch den Kopf gehen ließ und ihn genau beobachtete, erkannte, dass Komatsus Aktionen wohlberechnete Schachzüge waren und er seine Gegner stets lange im

Weitere Kostenlose Bücher