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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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sie bei denen alles durchsucht, aber sie waren sauber. Und?«
    »Ich möchte wissen, ob es nach dieser Schießerei noch irgendwelche Vorfälle bei den Vorreitern gegeben hat. Straf- oder zivilrechtliche Anzeigen. Aber ich weiß nicht, wie man so was als gewöhnliche Bürgerin herausbekommt. Die Zeitungen habe ich schon restlos durchgeschaut. Aber vielleicht kann man, wenn man bei der Polizei ist, irgendwie noch etwas über die näheren Umstände herausbekommen?«
    »Ich wünschte, ich könnte sagen: Nichts leichter als das. Ich brauche nur mal im Computer nachzuschauen … Aber leider ist das Computerwesen bei der japanischen Polizei nicht besonders weit fortgeschritten. Bis zur praktischen Einführung werden wohl noch Jahre vergehen. Also muss ich bei der Präfekturpolizei von Yamanashi nachfragen und sie bitten, mir per Post Kopien der entsprechenden Akten zu schicken. Dazu müsste ich zunächst mit Genehmigung eines Vorgesetzten einen schriftlichen Antrag auf Materialeinsicht stellen. Natürlich mit einer stichhaltigen Begründung. Denn schließlich sind wir vor allem eine Behörde und bekommen unser Gehalt dafür, dass wir alles ein wenig komplizierter machen als nötig.«
    »Verstehe«, sagte Aomame und seufzte. »Damit hat sich das erledigt.«
    »Aber warum möchtest du das wissen? Ist jemand, den du kennst, in etwas mit den Vorreitern verwickelt?«
    Aomame zögerte, entschied sich jedoch, die Wahrheit zu sagen. »So was Ähnliches. Nach jetzigem Stand kann ich noch nichts Genaues sagen, aber es geht um die Vergewaltigung von minderjährigen Mädchen. Ich habe Informationen, dass dort unter dem Deckmantel der Religion solche Dinge passieren.«
    Sie spürte förmlich durch den Hörer, wie Ayumi die Brauen zusammenzog. »Aha. Vergewaltigung von kleinen Mädchen. Das kann man nicht zulassen.«
    »Natürlich nicht«, sagte Aomame.
    »Wie alt sind die Mädchen ungefähr?«
    »Zehn oder jünger. Auf alle Fälle noch vor der ersten Periode.«
    Ayumi schwieg einen Moment lang ins Telefon. »Ich verstehe«, sagte sie dann tonlos. »In diesem Fall werde ich mir etwas überlegen. Gibst du mir zwei oder drei Tage Zeit?«
    »In Ordnung. Setzt du dich mit mir in Verbindung, wenn du was hast?«
    Nachdem sie noch eine Weile über weniger altruistische Dinge gesprochen hatten, sagte Ayumi, sie müsse wieder an die Arbeit.
    Als sie aufgelegt hatte, setzte sich Aomame in den Lesesessel am Fenster und betrachtete ihre rechte Hand. Lange schlanke Finger und kurzgeschnittene Nägel. Sie waren gepflegt, aber nicht lackiert. In die Betrachtung ihrer Hand versunken, überkam Aomame für einen Moment die starke Vorstellung, selbst nur ein sehr flüchtiges, machtloses Wesen zu sein. Nicht einmal die Form eines einzigen ihrer Nägel hatte sie selbst bestimmt. Irgendjemand hatte eigenmächtig darüber entschieden, und sie hatte es widerspruchslos akzeptiert. Das war es. Ob es ihr gefiel oder nicht. Wer hatte wohl bestimmt, dass ihre Nägel genau diese Form hatten?
    Neulich hatte sie von der alten Dame erfahren, dass ihre Eltern noch immer überzeugte Zeugen Jehovas seien. Also gingen sie wohl weiterhin ihrer Missionsarbeit nach. Aomame hatte einen vier Jahre älteren Bruder. Einen gehorsamen älteren Bruder. Im Gegensatz zu ihr, die ihrem Elternhaus entschlossen den Rücken gekehrt hatte, war er geblieben und lebte nach den Geboten seines Glaubens. Wie es ihm wohl ging? Aber im Grunde interessierte es Aomame nicht sehr, wie es ihrer Familie inzwischen ergangen war. Sie gehörte zu einem Teil ihres Lebens, der für sie längst abgeschlossen war.
    Sie hatte sich lange bemüht, alles zu vergessen, was vor ihrem zehnten Lebensjahr geschehen war. Für sie hatte das Leben erst danach wirklich begonnen. Alles davor war nicht mehr als ein schlechter Traum. Sie hatte immer versucht, die Erinnerung daran zu verbannen, aber sosehr sie sich auch darum bemühte, sie wurde bei jeder Kleinigkeit in diesen bösen Traum zurückgezogen. Alles, was sie tat, schien seine Wurzeln in seinem dunklen Boden zu haben und sich daraus zu nähren. Ganz gleich, wie weit fort sie ging, am Ende musste sie stets zurückkehren.
    »Ich muss diesen ›Leader‹ ins Jenseits befördern«, beschloss Aomame. »Auch für mich selbst.«
    Drei Tage später erhielt sie einen Anruf von Ayumi.
    »Ich habe jetzt ein paar Fakten«, sagte sie.
    »Über die Vorreiter, ja?«
    »Ja. Ich habe hin und her überlegt, und dabei ist mir eingefallen, dass einer, mit dem ich zusammen angefangen

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