1Q84: Buch 1&2
und die Nachrichtenshows im Fernsehen machen eine Sensation daraus. Ein paar Tage Aufschub haben wir noch.
Früher oder später würde die Bombe jedoch platzen, daran bestand kein Zweifel. Eine siebzehnjährige Schöne, die einen Bestseller geschrieben hatte, und niemand wusste, wo sie steckte! Wenn das kein Stoff für einen Skandal war. Wahrscheinlich wussten nur vier Menschen auf der Welt, dass Fukaeri nicht entführt worden war. Außer ihr selbst, Tengo, Professor Ebisuno und seiner Tochter Azami ahnte niemand, dass ihr überraschendes Verschwinden ein Trick war, um die Augen und Ohren der Welt in eine andere Richtung zu lenken. Tengo war unsicher, ob er sich über sein Wissen freuen oder ob er beunruhigt sein sollte. Wahrscheinlich hätte er sich freuen sollen. Wenigstens brauchte er sich nicht um Fukaeris Wohlergehen zu sorgen. Sie war in Sicherheit. Und mit Sicherheit konnte man auch sagen, dass er nun auf Gedeih und Verderb in diese komplizierte Verschwörung verwickelt war.
Professor Ebisuno hatte den großen düsteren Felsen mit seinem Hebel angehoben und das, was darunter war, der Sonne ausgesetzt. Jetzt lag er auf der Lauer und wartete, dass etwas unter dem Felsen hervorgekrochen kam. Und Tengo musste – unfreiwillig – danebenstehen. Wo er doch gar nicht wissen wollte, was darunter war. Nicht wenn es sich vermeiden ließ. Denn das, was unter dem Felsen hervorkriechen würde, war bestimmt etwas Widerliches. Leider würde er wohl um diesen Anblick nicht herumkommen.
Als Tengo seinen Kaffee ausgetrunken und Toast und Ei verzehrt hatte, legte er die gelesene Zeitung beiseite und verließ das Café. Zurück in seiner Wohnung, putzte er sich die Zähne, duschte und machte sich auf den Weg zur Schule.
In der Mittagspause erhielt Tengo Besuch von einem Unbekannten. Der Vormittagsunterricht war beendet, und er saß in der Lounge für die Angestellten. Er hatte einige Morgenzeitungen vor sich ausgebreitet, die er noch nicht durchgeschaut hatte, als die Sekretärin der Geschäftsleitung ihm mitteilte, jemand wünsche ihn zu sprechen. Sie war nur ein Jahr älter als Tengo, immer sehr elegant gekleidet und hatte einen Hochschulabschluss. Sie erledigte fast alle praktischen Aufgaben, die die Verwaltung der Yobiko betrafen. Direkt schön konnte man sie nicht nennen, dazu war ihr Gesicht etwas zu unregelmäßig, aber sie hatte Stil und einen ausgezeichneten Geschmack, was ihre Garderobe anging.
»Der Herr heißt Ushikawa.«
Tengo erinnerte sich nicht, diesen Namen schon einmal gehört zu haben.
Er wusste nicht warum, aber die Sekretärin zog ein leicht abfälliges Gesicht. »Es handelt sich um eine dringende Angelegenheit, sagt er, und er möchte Sie nach Möglichkeit allein sprechen.«
»Eine dringende Angelegenheit?«, wiederholte Tengo erstaunt. An dieser Schule war noch nie jemand mit etwas Dringendem an ihn herangetreten.
»Der Empfangsraum ist frei. Sie können ihn benutzen, wenn es nicht zu lange dauert. Obwohl er eigentlich für die Chefs reserviert ist, aber na ja, ausnahmsweise.«
Tengo bedankte sich und schenkte ihr sein schönstes Lächeln.
Sie strich den Saum ihrer neuen Sommerjacke von Agnes B. glatt und eilte mit raschen Schritten davon, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
Ushikawa war ein mickriger kleiner Mann von vielleicht Mitte vierzig. Sein Körper hatte bereits jede Spannkraft verloren, er war speckig und hatte ein schlaffes Doppelkinn. Beim Alter war sich Tengo nicht ganz sicher. Wegen der bizarren (oder nicht gerade alltäglichen) Erscheinung des Mannes war es nicht ganz leicht zu schätzen. Er hätte auch älter oder sogar jünger sein können. Eigentlich hätte er in jedem Alter zwischen zweiunddreißig und sechsundfünfzig sein können. Er hatte schlechte Zähne und einen seltsam gebeugten Rücken. Der größte Teil seines Schädels war unnatürlich flach und kahl, das Drumherum wirkte irgendwie verbeult. Die kahle Fläche erinnerte an einen militärischen Hubschrauberlandeplatz, den man auf der Kuppe eines strategisch wichtigen kleinen Hügels angelegt hatte. Tengo hatte so etwas schon einmal in einer Dokumentation über den Vietnamkrieg gesehen. Ein Kranz aus drahtartigen pechschwarzen Haaren hing ihm lang und zerzaust über die Ohren. Von circa achtundneunzig Prozent aller Menschen wären diese Haare aufgrund ihrer Beschaffenheit wahrscheinlich für Schamhaar gehalten worden. Was die übrigen zwei Prozent gedacht hätten, entzog sich Tengos Vorstellung.
Alles an diesem
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