1Q84: Buch 1&2
nennt mich Ushikawa. Nur Ushi«, sagte Ushikawa und lachte.
Freunde? Wer würde freiwillig ein Freund dieses Mannes werden?, fragte Tengo sich wirklich nur aus Neugier.
Von Anfang an assoziierte Tengo mit Ushikawa etwas Unheimliches, das aus einem dunklen Loch in der Erde gekrochen war. Etwas Schleimiges, Ungreifbares, das eigentlich nicht ans Licht kommen sollte. Vielleicht gehörte der Mann zu den Wesen unter dem Stein, die Professor Ebisuno aufgestöbert hatte. Tengo zog unwillkürlich die Brauen zusammen und legte die Visitenkarte, die er noch in der Hand hielt, auf den Tisch. Toshiharu Ushikawa also.
»Ich weiß, auch Ihre Zeit ist knapp, Herr Kawana. Deshalb werde ich ohne Umschweife zur Sache kommen und mich auf das Wichtigste beschränken.«
Tengo nickte kurz.
Ushikawa nahm einen Schluck Tee. »Lieber Herr Kawana«, begann er. »Sie haben wahrscheinlich noch nie etwas von der Stiftung zur Förderung der neuen japanischen Wissenschaften und Künste gehört. (Tengo schüttelte den Kopf.) Wir sind eine verhältnismäßig junge Stiftung, und im Zentrum unserer Aktivitäten steht die Auswahl und Unterstützung jüngerer Menschen, die außergewöhnliche Leistungen auf den Gebieten der Kunst und Wissenschaft vollbringen, insbesondere solcher, deren Namen man in der Öffentlichkeit noch nicht kennt. Kurz gesagt, es ist unser Ziel, junge Keimlinge aus allen Bereichen der modernen japanischen Kultur heranzuziehen, denn auf ihren Schultern wird das kommende Zeitalter ruhen. Wir haben Kundschafter aus allen akademischen Bereichen unter Vertrag, die bei der Auswahl der Kandidaten helfen. Jedes Jahr werden fünf Künstler und Wissenschaftler für unsere Förderungsmaßnahmen auserkoren, die dann ein Jahr lang ein beliebiges Projekt verfolgen dürfen, und zwar so, wie es ihnen gefällt. Sie sind an nichts gebunden, außer dass sie am Ende dieses Jahres einen Bericht abliefern müssen. Eine reine Formsache, es genügt, wenn er ganz einfach geschrieben ist. Er wird in einer Zeitschrift veröffentlicht, die unsere Stiftung herausgibt. Es existieren keine sonstigen lästigen Verpflichtungen. Wir haben erst vor kurzem mit unseren Aktivitäten begonnen, also wird es unsere erste bedeutende Aufgabe sein, Leistungen zu schaffen. Kurz gesagt, wir sind sozusagen noch in der Phase der Aussaat. Um Ihnen eine konkrete Zahl zu nennen, unser Fördergeld beträgt drei Millionen Yen pro Person und Jahr.«
»Sehr großzügig«, sagte Tengo.
»Für bedeutende Werke und Entdeckungen braucht man Zeit und Geld. Es entsteht natürlich nicht notwendigerweise etwas Außergewöhnliches, nur weil man Zeit und Mittel aufwendet. Schaden tut jedoch keines von beidem. Besonders Zeit ist Mangelware. Auch jetzt tickt die Uhr – ticktack . Unaufhaltsam vergeht die Zeit. Und wieder ist eine Gelegenheit vertan. Aber mit Geld kann man sich Zeit kaufen. Und damit sogar Freiheit. Zeit und Freiheit sind die wichtigsten Dinge, die ein Mensch sich mit Geld kaufen kann.«
Unwillkürlich warf Tengo einen Blick auf seine Armbanduhr. Ticktack – wirklich, die Zeit verging unablässig.
»Entschuldigen Sie, dass ich Ihre Zeit so lange in Anspruch nehme«, sagte Ushikawa wieder, der das offenbar für eine demonstrative Geste gehalten hatte. »Ich werde mich kurz fassen. Natürlich kann man heutzutage mit drei Millionen Yen im Jahr kein Leben im Luxus führen. Aber für den Lebensstil eines jungen Menschen genügt diese Summe durchaus. Unser oberstes Ziel ist, dass junge Menschen sich, ohne für ihren Lebensunterhalt arbeiten zu müssen, ein Jahr voll und ganz auf ihre Forschungen oder ihre Werke konzentrieren können. Wenn die Direktion bei der Bewertung am Ende des Jahres anerkennt, dass der Erfolg die Anforderungen übersteigt, besteht sogar die Möglichkeit, das Stipendium zu verlängern.«
Schweigend wartete Tengo darauf, dass er fortfuhr.
»Kürzlich hat man mir gestattet, eine Stunde lang Ihrem Unterricht zuzuhören«, sagte Ushikawa. »Es war hochinteressant. Ich bin, was die Mathematik angeht, ein blutiger Laie und war schon immer – da gibt es nichts zu beschönigen – sehr schlecht in diesem Fach. In der Schule habe ich den Mathematikunterricht gehasst. Allein bei der Erwähnung bin ich zusammengezuckt und habe das Weite gesucht. Aber Ihr Vortrag, Herr Kawana, war höchst unterhaltsam. Selbstverständlich verstehe ich nicht das Geringste von Infinitesimalrechnung. Doch allein beim Zuhören entstand in mir der Wunsch, mich von nun an mit Mathematik
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