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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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zu beschäftigen, weil sie ein so interessantes Gebiet ist. Kompliment, Herr Kawana! Sie verfügen über eine außergewöhnliche Begabung – die Fähigkeit, Menschen mitzureißen. Wie man mir sagte, erfreuen Sie sich wachsender Beliebtheit an Ihrer Schule, aber das ist ja kein Wunder.«
    Wo und wann Ushikawa seinen Unterricht belauscht haben konnte, war Tengo unklar. Er behielt stets sehr genau im Auge, wer sich in seiner Klasse aufhielt, und so kannte er alle seine Schüler natürlich ganz genau. Eine bizarre Gestalt wie Ushikawa hätte er gewiss nicht übersehen. Er wäre ihm aufgefallen wie ein Tausendfüßler in einer Zuckerdose. Dennoch beschloss er, die Sache nicht weiter zu verfolgen, um eine lange Geschichte nicht noch länger zu machen.
    »Wie Sie wissen, bin ich nur Lehrer und arbeite freiberuflich«, sagte Tengo von sich aus, um wenigstens ein bisschen Zeit zu sparen. »Ich betreibe keine Forschung auf dem Gebiet der Mathematik. Alles, was ich tue, ist, Schülern auf möglichst interessante, leicht verständliche Art zu erklären, wie sie das Wissen, über das sie bereits verfügen, erweitern können. Ich bringe ihnen nur bei, wie sie die Aufgaben bei den Aufnahmeprüfungen für die Universität zu lösen haben. Den Gedanken an eine Laufbahn als Fachwissenschaftler habe ich schon vor langer Zeit aufgegeben. Ich hatte weder die finanziellen Mittel noch die Fähigkeit, es auf akademischem Gebiet zu etwas zu bringen. Darum, Herr Ushikawa, kann ich Ihnen in keiner Weise dienlich sein.«
    Ushikawa hob wieder beide Hände, die Handflächen Tengo zugewandt. »Aber nein, darum geht es doch gar nicht. Wahrscheinlich habe ich wieder alles zu kompliziert gemacht. Meine Schuld. Ihr Mathematikunterricht ist durchaus interessant. Einmalig und originell. Aber deshalb bin ich heute nicht hier. Es ist Ihre Arbeit als Schriftsteller, auf die sich unser Augenmerk richtet, Herr Kawana.«
    Tengo war verblüfft.
    »Meine Arbeit als Schriftsteller?«, wiederholte er, nachdem es ihm für mehrere Sekunden die Sprache verschlagen hatte.
    »Genau.«
    »Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ich schreibe tatsächlich seit einigen Jahren. Aber bisher ist noch nie etwas von mir gedruckt und veröffentlicht worden. So jemanden kann man doch nicht als Schriftsteller bezeichnen. Wie sind Sie denn überhaupt auf mich gekommen?«
    Ushikawa beobachtete Tengos Reaktion mit einem breiten, beglückten Grinsen. Dabei fletschte er seine scheußlichen Zähne, die in jede nur erdenkliche Richtung ragten und an denen alles Mögliche hängengeblieben war, wie an einer Strandpalisade, die einige Tage zuvor eine Sturmflut überspült hatte. Inzwischen war es wohl ausgeschlossen, sein Gebiss noch zu korrigieren. Aber es hätte ihm wenigstens jemand zeigen sollen, wie man sich die Zähne putzt.
    »Wissen Sie, das ist der einzigartige Knackpunkt unserer Stiftung«, sagte Ushikawa stolz. »Die bei uns unter Vertrag stehenden Kundschafter richten ihr Augenmerk auf Menschen, die noch nicht im Rampenlicht stehen. Das ist eines unserer Ziele. Es ist, wie Sie sagen, Herr Kawana, noch keines Ihrer Werke wurde veröffentlicht. Das wissen wir. Aber Sie haben sich bisher jedes Jahr unter einem Pseudonym um den Debütpreis einer Zeitschrift für Literatur und Kunst beworben. Sie haben ihn zwar noch nicht erhalten, sind jedoch mehrmals in die Endauswahl gelangt. Natürlich haben nur wenige Personen dies überhaupt zur Kenntnis genommen. Aber einige dieser wenigen haben Ihre Begabung erkannt. Nach Einschätzung unserer Kundschafter werden Sie den Preis zweifellos irgendwann in nächster Zeit erhalten und als Autor debütieren. Wir kaufen die Zukunft – pardon, die Wortwahl ist etwas missglückt, aber unser oberstes Ziel ist es, wie ich schon sagte, ›junge Keime heranzuziehen, auf deren Schultern das kommende Zeitalter ruht‹.«
    Tengo nahm seinen Becher und trank von dem schon etwas abgekühlten grünen Tee. »Als angehender Schriftsteller bin ich also ein Kandidat für Ihr Förderprogramm. Verstehe ich Sie richtig?«
    »Genau. Sagen Sie ruhig Kandidat, auch wenn die Sache schon so gut wie beschlossen ist. Sollten Sie zustimmen, bin ich befugt, alles Nötige in die Wege zu leiten. Sobald Sie unterschrieben haben, werden Ihnen drei Millionen Yen überwiesen. Dann könnten Sie sich für ein halbes oder ein ganzes Jahr beurlauben lassen, um sich ganz Ihrer schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen. Wie ich höre, schreiben Sie gegenwärtig an einem Roman. Wäre das nicht

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