1Q84: Buch 1&2
Aussagen sei nicht ganz klar –, aber insgesamt war man voll des Lobes.
Allerdings waren viele Kritiker hinsichtlich der Bedeutung der Puppe aus Luft und der Little People verwirrt oder unentschieden. »Die Geschichte ist sehr gelungen und spannend, sie hält den Leser bis zum Schluss fest in ihrem Bann, aber was die Puppe aus Luft und die Little People angeht, lässt man uns am Ende in einem geheimnisvollen Bassin aus Fragezeichen zurück. Dies mag von der Autorin beabsichtigt sein, doch wird es nicht wenige Leser geben, die darin eine ›Nachlässigkeit‹ sehen. Bei dem Werk einer so jungen Frau kann man darüber hinwegsehen; doch sollte die Autorin ihre schriftstellerischen Aktivitäten künftig fortführen wollen, wird sie genötigt sein, ihren allzu suggestiven Stil einer ernsthaften Prüfung zu unterziehen«, schloss eine der Besprechungen.
Tengo wunderte sich. Wenn einem Autor eine Geschichte gelang, die »spannend« war und »den Leser bis zum Schluss fest in ihrem Bann« hielt, konnte ihm doch niemand mangelnde Sorgfalt vorwerfen, oder doch?
Aber er musste sich eingestehen, dass er es nicht genau wusste. Vielleicht irrte er sich, und die Kritik des Rezensenten war berechtigt. Schließlich war er selbst regelrecht in die Redaktion des Manuskripts eingetaucht, und damit war es ihm beinahe unmöglich, das Werk unvoreingenommen und aus der Perspektive eines Außenstehenden zu betrachten. Die Puppe aus Luft und die Little People waren inzwischen wie ein Teil von ihm. Doch was sie bedeuteten, wusste er selbst nicht genau, wenn er ehrlich war. Allerdings war das auch nicht sonderlich wichtig für ihn. Viel bedeutsamer war die Frage, ob er ihre Existenz akzeptieren konnte. Und das konnte er. Es war ihm mühelos gelungen, an ihr tatsächliches Vorhandensein zu glauben. Gerade deshalb hatte er ja so tief in die Überarbeitung eintauchen können. Hätte er die Geschichte nicht so selbstverständlich annehmen können, wäre er – hätte man ihm auch noch so viel Geld geboten oder ihn noch so sehr bedroht – wohl kaum imstande gewesen, an ihrer Fälschung mitzuwirken.
Natürlich war das nur seine persönliche Sichtweise, die er niemand anderem aufzwingen konnte. Tatsächlich empfand er aufrichtiges Mitgefühl für die guten Männer und Frauen, die nach der Lektüre von Die Puppe aus Luft »in einem geheimnisvollen Bassin aus Fragezeichen« zurückgeblieben waren. Vor seinem inneren Auge erschienen in bunte Schwimmreifen gezwängte Leute, die mit ratlosen Mienen in einem Becken voller Fragezeichen umhertrieben. Und er trug die Verantwortung dafür.
Aber wer, dachte Tengo, kann schon allen Menschen gerecht werden? Würden sich alle Götter der Welt versammeln, um die Atomwaffen und den Terrorismus abzuschaffen, sie wären dazu nicht in der Lage. Weder könnten sie die Dürren in Afrika beenden, noch John Lennon wieder zum Leben erwecken. Würde es nicht im Gegenteil sogar zu einer Spaltung und grausamen Auseinandersetzungen zwischen ihnen kommen? Durch die die Welt in noch größeres Unglück gestürzt würde? War es verglichen damit nicht ein unendlich viel harmloseres Vergehen, ein paar Leute für ein Weilchen in einem geheimnisvollen Bassin aus Fragezeichen schwimmen zu lassen?
Tengo las ungefähr die Hälfte der Rezensionen von Die Puppe aus Luft , die Komatsu ihm geschickt hatte, und schob die übrigen ungelesen in den Umschlag zurück. Er hatte sich nun eine ungefähre Vorstellung verschaffen können. Die Geschichte, die in Die Puppe aus Luft erzählt wurde, erregte das Interesse vieler Menschen. Sie hatte Tengo in ihren Bann gezogen, Komatsu und auch Professor Ebisuno. Und eine erstaunliche Menge an Lesern. Was wollte man mehr?
Am Dienstagabend gegen neun Uhr klingelte das Telefon. Tengo las gerade und hörte dabei Musik. Es war seine liebste Stunde. Denn vor dem Schlafengehen nahm er sich nur Bücher vor, die ihm gefielen. Wenn er sich müde gelesen hatte, schlief er ein.
Es klingelte zum ersten Mal seit längerer Zeit, und er spürte etwas Unheilvolles in seinem Läuten. Komatsu war es nicht. Seine Anrufe hörten sich anders an. Tengo zögerte. Nachdem es fünfmal geklingelt hatte, nahm er den Tonarm von der Schallplatte und hob den Hörer ab. Vielleicht war es ja seine Freundin.
»Ist dort Kawana?«, fragte die tiefe ruhige Stimme eines Mannes in mittlerem Alter. Tengo konnte sich nicht erinnern, sie schon einmal gehört zu haben.
»Ja«, sagte Tengo vorsichtig.
»Entschuldigen Sie die späte
Weitere Kostenlose Bücher