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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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angenommen hatte? Bestimmt. Keine Sorge, beruhigte sie sich. Tamaru ist ein Mann, der seine Versprechen hält. Vielleicht bringt er dich ohne Zögern eiskalt um, wenn es nötig ist, aber dennoch würde er sich bis in alle Ewigkeit um den Gummibaum kümmern, den du ihm vererbt hast.
    Doch warum machte sie sich derartige Sorgen um diesen Gummibaum?
    Bis sie ihn in ihrer alten Wohnung zurückgelassen hatte, hatte sie nie einen Gedanken an ihn verschwendet. Es war ein wirklich schäbiger Baum. Er war farb- und glanzlos und sah völlig ungesund aus. Er sollte als Sonderangebot 1800 Yen kosten, aber als sie mit ihm an die Kasse kam, setzte die Kassiererin ihn ungebeten noch einmal auf 1500 Yen herunter. Mit etwas Feilschen hätte sie ihn wahrscheinlich noch billiger bekommen. Bestimmt war er ein permanenter Ladenhüter. Als sie mit dem Kübel im Arm nach Hause ging, bereute sie es schon, das Ding so spontan gekauft zu haben. Er sah erbärmlich aus, war sperrig zu tragen und zu allem Überfluss auch noch lebendig.
    Es war das erste Mal, dass sie etwas Lebendiges hatte. Noch nie hatte sie ein Haustier oder eine Pflanze gekauft, geschenkt bekommen oder auch nur zufällig gefunden. Dieser Gummibaum war ihre erste Erfahrung mit etwas Lebendigem.
    Als sie im Salon der alten Dame die kleinen roten Goldfische sah, die diese auf dem Schreinfest für Tsubasa gekauft hatte, hatte sich der Wunsch nach einem Goldfisch in ihr geregt. Er war so mächtig geworden, dass sie kaum die Augen von den Fischen lassen konnte. Weshalb hatte sie plötzlich so stark empfunden? Vielleicht, weil sie Tsubasa beneidete? Noch nie hatte jemand Aomame abends auf ein Schreinfest mitgenommen, geschweige denn ihr dort etwas gekauft. Ihre Eltern, die eifrigen und bibeltreuen Zeugen Jehovas, verachteten und mieden alle weltlichen Festlichkeiten.
    Also hatte Aomame einen Discounter in der Nähe des Bahnhofs Jiyugaoka aufgesucht, um sich einen Goldfisch und ein Goldfischglas zu kaufen. Wenn ihr niemand etwas kaufte, blieb ihr eben nichts anderes übrig, als es selbst zu tun. Es reicht, dachte sie. Ich bin dreißig Jahre alt und lebe allein. Mein Bankschließfach ist voller Geldbündel, dick und hart wie Backsteine. Ich brauche niemanden zu fragen, wenn ich mir einen Goldfisch kaufe.
    Aber als sie in die Tierabteilung kam und die echten Goldfische sah, deren Flossen sich zart flatternd wie Spitzenborten im Wasser des Aquariums bewegten, war sie außerstande, einen davon zu kaufen. So ein Goldfisch war winzig, nur ein alberner Fisch, ohne Bewusstsein und ohne Fähigkeit zur Reflexion, dennoch war er ein vollkommener lebendiger Organismus. Es kam Aomame unpassend vor, dieses Leben käuflich zu erwerben und zu ihrem persönlichen Besitz zu machen. Die Goldfische erinnerten sie an sich selbst in ihrer Kindheit. Hilflose Wesen, die in ein enges Glas eingesperrt waren und nicht entkommen konnten. Die Goldfische wirkten allerdings nicht, als machte ihnen das im Mindesten etwas aus. Wahrscheinlich war es ihnen tatsächlich egal, und sie hegten gar nicht den Wunsch, sich woandershin zu begeben. Doch Aomame hatte das damals unbedingt gewollt.
    Die Goldfische im Salon der alten Dame hatten keine derartigen Gefühle in ihr ausgelöst. Anmutig und fröhlich waren sie in ihrem Glas herumgeschwommen, in dessen Wasser sich die Strahlen des sommerlichen Lichts brachen. Die Vorstellung, mit einem Goldfisch zusammenzuleben, war Aomame wundervoll erschienen. Doch die Goldfische in der Zooabteilung des Billigkaufhauses am Bahnhof übten eine stark beklemmende Wirkung auf sie aus. Nachdem sie die Fischlein in dem Aquarium eine Weile betrachtet hatte, presste sie die Lippen fest aufeinander. Es geht nicht, dachte sie. Ich kann auf keinen Fall einen Goldfisch halten.
    Damals war ihr Blick auf den Gummibaum in der hintersten Ecke des Ladens gefallen. Man hatte ihn an einen unauffälligen Platz geräumt, und dort kauerte er nun wie ein ausgesetztes Waisenkind. Zumindest sah es in Aomames Augen so aus. Obwohl er so unscheinbar war und es ihm an Symmetrie fehlte, kaufte sie ihn, ohne richtig darüber nachzudenken. Nicht weil er ihr gefiel. Sie konnte einfach nicht anders. Und tatsächlich würdigte sie ihn, nachdem sie ihn in ihrer Wohnung aufgestellt hatte, kaum eines Blickes, außer wenn sie ihm hin und wieder Wasser gab.
    Doch nun, wo sie ihn zurückgelassen hatte und wusste, dass sie ihn nie wiedersehen würde, konnte Aomame nicht umhin, sich um ihn zu sorgen. Sie verzog ihr Gesicht, wie

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