1Q84: Buch 1&2
Spur«, befahl Aomame dem Fahrer.
»Aber fließt der Verkehr nicht besser auf der rechten?«, wandte dieser vorsichtig ein.
Aomame ignorierte den Einwand. »Fahren Sie auf die linke.«
Er streckte die Hand aus dem Fenster, gab dem Kühllaster hinter ihnen ein Zeichen und fädelte sich, nachdem er sich vergewissert hatte, dass der andere es gesehen hatte, in die linke Spur ein. Nach fünfzig Metern kamen sie wieder zum Stillstand.
»Öffnen Sie die Tür, ich steige hier aus.«
»Was?«, sagte der Fahrer völlig überrumpelt. »Hier?«
»Ja, hier. Ich habe hier etwas zu erledigen.«
»Aber wir sind mitten auf der Autobahn. Das ist gefährlich. Hier kann man nicht aussteigen.«
»Kein Problem, gleich da vorn ist eine Treppe für Notfälle.«
»Was für eine Treppe?« Der Fahrer schüttelte den Kopf. »Davon weiß ich nichts. Aber wenn rauskommt, dass ich Fahrgäste mitten auf der Autobahn aussteigen lasse, kriege ich Riesenärger mit meinem Chef. Und mit der für die Autobahn zuständigen Behörde. Bitte ersparen Sie mir das.«
»Ich muss hier aussteigen. Die Umstände machen es unumgänglich.« Aomame nahm noch einen Zehntausend-Yen-Schein aus ihrem Portemonnaie, glättete ihn und streckte ihn dem Fahrer entgegen. »Hier, als Entschädigung für Ihre Unannehmlichkeiten. Also halten Sie jetzt den Mund und lassen Sie mich hier raus. Bitte.«
Der Fahrer nahm den Zehntausend-Yen-Schein nicht an. Ergeben betätigte er die Automatik und öffnete die linke hintere Tür.
»Ich will Ihr Geld nicht. Was Sie mir vorhin gegeben haben, genügt vollauf. Aber bitte passen Sie wirklich auf sich auf. Es gibt hier keinen Seitenstreifen, und zu Fuß unterwegs zu sein ist auch im Stau gefährlich.«
»Danke«, sagte Aomame. Nachdem sie ausgestiegen war, klopfte sie auf der Beifahrerseite ans Fenster und bedeutete ihm, die Scheibe herunterzulassen. Sie beugte sich in den Wagen und drückte dem Fahrer den Zehntausend-Yen-Schein in die Hand.
»Bitte nehmen Sie ihn an, und denken Sie sich nichts dabei. Ich habe zu viel Geld.«
Der Fahrer blickte zwischen dem Schein und Aomames Gesicht hin und her.
»Sollten Sie wegen mir Probleme mit der Polizei oder Ihrer Firma bekommen, sagen Sie, ich hätte Sie mit einer Pistole bedroht, und Sie hätten nichts tun können.«
Der Fahrer schien nicht richtig zu begreifen, wovon sie sprach. Zu viel Geld? Pistole? Dennoch nahm er die zehntausend Yen. Wahrscheinlich fürchtete er, etwas Unvorhersehbares zu provozieren, falls er sich weigerte.
Wie beim letzten Mal ging Aomame zwischen der Leitplanke und den Autos auf der linken Spur in Richtung Shibuya. Die Entfernung betrug nur etwa fünfzig Meter. Die Leute in den Wagen beobachteten sie mit ungläubigen Blicken. Doch Aomame schritt, ohne sie zu beachten, auf langen Beinen und mit geradem Rücken wie ein Mannequin auf einem Pariser Laufsteg an ihnen vorbei. Ihr Haar wehte in dem Luftzug, den die großen Wagen erzeugten, die mit hoher Geschwindigkeit auf der freien Gegenfahrbahn vorbeirauschten. Die Esso-Tafel wurde größer, und bald war Aomame an dem ihr bekannten Pannenstreifen angelangt.
Die Szenerie hatte sich nicht verändert. Da war das Eisengitter und daneben die gelbe Box mit dem Notruftelefon.
Hier hat für mich das Jahr 1Q84 begonnen, dachte Aomame.
Seit ich die Treppe auf die Nationalstraße 246 hinuntergestiegen bin, hat sich meine Welt verändert. Also werde ich sie jetzt noch einmal hinuntersteigen. Damals hatte der April gerade begonnen. Ich trug meinen beigefarbenen Mantel. Jetzt haben wir Anfang September, und es ist zu warm dafür. Aber abgesehen von dem Mantel habe ich genau die gleichen Sachen an wie damals. Als ich in dem Hotel in Shibuya diesen Idioten von der Ölgesellschaft aus dem Weg geräumt habe. Das Kostüm von Junko Shimada und die Charles-Jourdan-Schuhe. Die weiße Bluse, eine Strumpfhose und den weißen Drahtbügel-BH. Ich habe meinen Rock hochgeschoben, bin über das Gitter geklettert und dann die Treppe hinuntergegangen.
Jetzt versuche ich das Gleiche noch einmal. Eigentlich aus reiner Neugier. Ich will nur wissen, was passiert, wenn ich am gleichen Ort in den gleichen Klamotten das Gleiche tue wie damals. Nicht, dass ich auf Rettung hoffe. Ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich nicht zögern. Ich werde mit einem Lächeln auf den Lippen sterben, dachte sie. Dennoch wollte Aomame nicht sterben, ohne etwas zu erfahren. Mehr als den Versuch, hinter den Ablauf der Dinge zu
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