1Q84: Buch 1&2
keine öffentliche Toilette. Falls Sie also noch mal zur Toilette gehen möchten, sollten Sie das jetzt tun.«
»Kein Problem, fahren Sie jetzt endlich.«
Sie verließen das Wohnviertel, fuhren auf die Ringstraße 8 und dann durch verstopfte Straßen in Richtung Yoga. Der Fahrer hörte die ganze Zeit einen Nachrichtensender. Aomame überließ sich ihren Gedanken. Als sie an die Auffahrt zur Stadtautobahn kamen, drehte der Fahrer die Lautstärke herunter.
»Entschuldigen Sie die Frage, vielleicht bin ich zu neugierig, aber haben Sie beruflich hier zu tun?«, fragte er.
»Ich bin Versicherungsdetektivin«, sagte Aomame ohne Zögern.
»Versicherungsdetektivin!«, wiederholte der Fahrer, als würde er eine Speise kosten, die er noch nie zuvor gegessen hatte.
»Ich untersuche einen Fall von Versicherungsbetrug«, sagte Aomame.
»Oh«, sagte er beeindruckt. »Und dieser Fall hat etwas mit der Stadtautobahn 3 zu tun?«
»So ist es.«
»Das ist ja wie in diesem Film.«
»In welchem Film?«
»Ach, so ein ganz alter mit Steve McQueen. Ich habe vergessen, wie er heißt.«
»Thomas Crown ist nicht zu fassen«, sagte Aomame.
»Ja, ja, genau der. Faye Dunaway spielt darin eine Versicherungsdetektivin, Expertin für Diebstahl. Und Steve McQueen ist ein Reicher, der sich mit Bankraub die Zeit vertreibt. Ein ziemlich guter Film. Ich habe ihn in meiner Oberschulzeit gesehen. Die Musik hat mir gefallen. Irgendwie lässig.«
»Sie ist von Michel Legrand.«
Der Fahrer summte leise die ersten vier Takte. Dann musterte er Aomames Gesicht noch einmal genau durch den Spiegel.
»Also, ich finde, Sie haben sogar eine ähnliche Ausstrahlung wie Faye Dunaway in dem Film.«
»Vielen Dank«, sagte Aomame. Sie musste sich direkt anstrengen, um ihr Lächeln zu verbergen.
Auf der Nr. 3 stadteinwärts gab es, wie der Fahrer vorausgesagt hatte, einen handfesten Stau. Sie waren noch keine hundert Meter von der Auffahrt entfernt, als der Verkehr schon stockte. Was dort herrschte, war geradezu der Inbegriff eines Staus. Und damit genau das, was Aomame wollte. Sie trug die gleiche Garderobe, war auf der gleichen Straße und steckte an der gleichen Stelle im Stau. Schade, dass im Radio nicht die Sinfonietta von Janáček lief und die Stereoanlage einem Vergleich mit der in dem Toyota Crown Royal Saloon nicht standhalten konnte. Aber das wäre wohl zu viel verlangt gewesen.
Zwischen Lastwagen eingekeilt, kroch das Taxi vorwärts. Sie standen ewig an einer Stelle, bis es endlich wieder ein Stückchen vorwärts ging. Der jugendliche Fahrer eines Kühllasters auf der Spur neben ihnen las die ganze Zeit inbrünstig in einem Mangaheft. Ein Ehepaar mittleren Alters in einem cremefarbenen Toyota Corona Mark II starrte mürrisch nach vorn, und keiner von beiden machte den Mund auf. Wahrscheinlich hatten sie sich nichts zu sagen. Oder ihr Schweigen war das Resultat von etwas, das sie gesagt hatten. Tief in die Rückbank des Taxis gelehnt, hing Aomame ihren Gedanken nach. Der Fahrer hörte Radio.
Irgendwann zeigte ein Schild nach Komazawa, und sie krochen weiter im Schneckentempo auf Sangenjaya zu. Ab und zu schaute Aomame auf und betrachtete die Szenerie vor dem Fenster. Dieses Viertel sehe ich nun auch zum letzten Mal, dachte sie. Ich werde weit fort gehen. Aber selbst dieser Gedanke weckte keine besondere Zuneigung für Tokio in ihr. Sämtliche Häuser an der Autobahn waren hässlich, schmutzig verfärbt von den Abgasen der Autos, und überall schrien einem grelle Reklametafeln entgegen. Ein deprimierender Anblick. Wieso schufen die Menschen sich solche bedrückenden Orte? Das hieß ja nicht, dass die Welt bis in den letzten Winkel schön sein sollte. Aber wieso musste etwas derart hässlich sein?
Endlich kam die bewusste Stelle in Sicht. Die Stelle, an der Aomame das Taxi verlassen hatte, nachdem der geheimnisvolle Taxifahrer sie auf die Nottreppe dort hingewiesen hatte. Vor ihnen stand die riesige Reklametafel von Esso mit dem freundlichen Tiger, der den Schlauch in der Pfote hielt. Die gleiche Tafel wie damals.
Der Tiger im Tank.
Aomame bekam plötzlich Durst. Sie hustete kurz und kramte eine Dose Hustenbonbons mit Zitronengeschmack aus ihrer Umhängetasche. Sie steckte sich eins in den Mund und packte die Dose wieder in die Tasche. Als Nächstes umklammerte sie den Griff der Heckler & Koch. Versicherte sich ihrer Härte und ihres Gewichts. Ja, so ist es gut, dachte sie. Der Wagen kam ein Stück vorwärts.
»Wechseln Sie auf die linke
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