1Q84: Buch 1&2
ausgesprochen populärer Komponist. Die Auswahl seiner Platten war sehr klein, und sie fand lediglich eine Aufnahme der Sinfonietta , gespielt vom Cleveland Orchestra unter der Leitung von George Szell. Auf der A-Seite war das Konzert für Orchester von Bartók. Sie wusste nicht, um welche Aufführung es sich handelte, aber da sie ohnehin keine Alternative hatte, kaufte sie die LP. Sie fuhr nach Hause, nahm eine Flasche Chablis aus dem Kühlschrank und entkorkte sie. Sie legte die LP auf den Plattenteller und setzte die Nadel in die Rille. Während sie ein Glas von dem gut gekühlten Wein trank, lauschte sie der Musik. Strahlend erschallte die bekannte Fanfare. Es war das gleiche Stück, das sie im Taxi gehört hatte. Kein Zweifel. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf die Musik. Die Aufnahme war nicht schlecht. Aber nichts geschah. Nur die Musik ertönte. Sie hatte weder das Gefühl, ausgewrungen zu werden, noch dass sich etwas verwandelte.
Als das Stück zu Ende war, schob sie die Platte wieder in die Hülle, lehnte sich, auf dem Boden sitzend, mit dem Rücken an die Wand und trank ihren Wein. Sie war so in Gedanken versunken, dass sie kaum etwas von seinem Geschmack wahrnahm. Sie ging ins Bad und wusch sich das Gesicht mit Seife. Dann stutzte sie mit einer kleinen Schere ihre Augenbrauen und reinigte sich mit einem Wattestäbchen die Ohren.
Was war es nun: Wurde sie verrückt, oder war die Welt verrückt? Sie wusste es nicht. Topf und Deckel passten nicht zusammen. Es konnte am Topf liegen, aber auch am Deckel. Wie auch immer – an der Tatsache, dass sie nicht zusammenpassten, war nicht zu rütteln.
Aomame öffnete den Kühlschrank und erforschte seinen Inhalt. Da sie seit mehreren Tagen nicht eingekauft hatte, war er ziemlich leer. Sie nahm eine reife Papaya heraus, zerteilte sie mit dem Küchenbeil und löffelte sie aus. Anschließend wusch sie drei kleine Gurken, die sie mit Mayonnaise verzehrte. Sie nahm sich Zeit beim Kauen. Am Ende trank sie ein Glas Sojamilch. Das war ihr Abendessen. Eine einfache Mahlzeit, aber ideal, um Verstopfung vorzubeugen. Verstopfung gehörte zu den Dingen, die Aomame auf dieser Welt am meisten hasste. Fast ebenso sehr wie feige, gewalttätige Männer, die ihre Familien prügelten, und engstirnige religiöse Fanatiker.
Nach dem Essen zog Aomame sich aus und nahm eine heiße Dusche. Sie trocknete sich ab und betrachtete ihren nackten Körper in dem Spiegel, der neben der Tür angebracht war. Ihren flachen Bauch und ihre straffen Muskeln. Die ungleichen ovalen Brustwarzen und ihr Schamhaar, das an einen ungemähten Fußballplatz erinnerte. Plötzlich fiel ihr ein, dass sie in einer Woche dreißig wurde. Schon wieder so ein blöder Geburtstag. Verdammt, jetzt wird man in dieser dämlichen Welt auch noch dreißig!, dachte Aomame und runzelte die Stirn.
1Q84.
Das war der Ort, an dem sie war.
KAPITEL 10
Tengo
Eine echte Revolution, in der echtes Blut fließt
»Umsteigen«, sagte Fukaeri, kurz bevor die Bahn in Tachikawa hielt, und griff wieder nach Tengos Hand.
Sie stiegen aus, und während sie auf dem Weg zu einem anderen Bahnsteig die Treppen hinauf- und hinuntergingen, ließ sie seine Hand kein einziges Mal los. In den Augen der Passanten wirkten die beiden sicherlich wie ein verliebtes Paar. Der Altersunterschied zwischen ihnen war recht groß, aber Tengo sah jünger aus, als er war; allerdings brachte die unterschiedliche Körpergröße der beiden gewiss einige zum Schmunzeln. Ein glückliches junges Paar an einem Sonntagmorgen im Frühling.
Dennoch ging von Fukaeris Hand keine erotische Spannung aus, wie sie bei Berührungen zwischen den Geschlechtern durchaus vorkommt. Der Druck, mit dem sie Tengos Hand festhielt, war konstant. Er hatte etwas von der dienstlichen Präzision, mit der ein Arzt den Puls eines Patienten fühlt. Plötzlich kam Tengo der Gedanke, dass die junge Frau vielleicht mittels des Tastsinns ihrer Finger und Handflächen einen Austausch von Informationen suchte, die sie mit Worten nicht übermitteln konnte. Falls dem tatsächlich so war, hatte die Sache allerdings Ähnlichkeit mit einer Einbahnstraße. Vielleicht nahm Fukaeri ja über ihre Handfläche etwas von dem auf, was in Tengo vorging; er jedenfalls konnte nicht in ihrem Inneren lesen. Er machte sich aber auch keine großen Gedanken darüber. Was auch immer sie zu erspüren vermochte, es gab keine Informationen oder Gefühle in ihm, von denen Fukaeri nichts wissen durfte.
Auch
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