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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Tengo. Die Urkunde von einem Rechenwettbewerb, den er in der Grundschule gewonnen hatte, und die Artikel, die in den Lokalzeitungen darüber erschienen waren. Ein Foto von ihm mit der Trophäe. Seine hervorragenden Zeugnisse, die fast Kunstwerke waren. In allen Fächern hatte er die besten Noten. Außerdem alle möglichen anderen Erinnerungen aus seiner Zeit als Wunderkind. Ein Foto von Tengo als Mittelschüler in seinem Judo-Anzug, auf dem er das Banner des Vizemeisters hielt und lächelte. Tengo war stumm vor Staunen angesichts dieser Sammlung. Nachdem sein Vater in Rente gegangen war, hatte er die Dienstwohnung von NHK aufgegeben, war in eine normale Mietwohnung, ebenfalls in Ichikawa, und danach in das Sanatorium in Chikura gezogen. Nicht viel von seiner Habe hatte diese Umzüge überdauert. Hinzu kam, dass die Beziehung zwischen Vater und Sohn sich über lange Jahre äußerst kühl gestaltet hatte. Trotz allem hatte sein Vater all diese Erinnerungen an Tengos Glanzzeit als »Wunderkind« sorgfältig aufbewahrt.
    Ein weiterer Umschlag enthielt alle möglichen Unterlagen aus der Zeit seines Vaters bei NHK . Unter anderem eine Urkunde, die ihn als hervorragenden Mitarbeiter würdigte, dazu mehrere einfache Belobigungsschreiben. Ein Foto mit Kollegen, wahrscheinlich von einem Betriebsausflug. Ein alter Ausweis. Belege über Zahlungen an die Renten- und Krankenversicherung. Mehrere Lohnstreifen, bei denen nicht ersichtlich war, warum er sie aufgehoben hatte. Ein Dokument über seine Ruhestandsabfindung … Dafür, dass er sich über dreißig Jahre lang für NHK abgerackert hatte, erschien der Betrag erstaunlich gering. Verglichen mit Tengos sensationellen Leistungen in der Grundschule, war das alles sehr unbedeutend, ja, fast nichtig. In gesellschaftlicher Hinsicht hatte der Vater ein unbedeutendes Leben geführt. Doch nicht für Tengo. Sein Vater hatte nicht nur ein Postsparbuch hinterlassen, sondern auch einen schweren, dunklen Schatten auf Tengos Seele.
    In dem Umschlag war nichts, das Aufschluss über das Leben seines Vaters gab, bevor dieser bei NHK angefangen hatte. Es war, als habe es erst mit seiner Anstellung als Gebührenkassierer bei NHK begonnen.
    Der letzte, sehr dünne Umschlag enthielt eine Schwarzweißfotografie. Sonst nichts. Sie war alt und, obwohl sie nicht verfärbt war, von einem blassen Film überzogen, als sei Wasser darübergelaufen. Es war ein Familienfoto. Vater, Mutter und ein kleines Kind, das kaum älter als ein Jahr zu sein schien. Die Mutter – im Kimono – trug es liebevoll auf dem Arm. Hinter ihnen war das Torii eines Shinto-Schreins zu sehen. Der Kleidung der Familie nach war es Winter. Vielleicht machten sie den zu Neujahr üblichen Schreinbesuch. Die Mutter kniff wie geblendet die Augen zusammen und lächelte. Der Vater, der einen dunklen, ein wenig zu großen Mantel trug, runzelte die Brauen, sodass zwei tiefe Falten zwischen ihnen entstanden. Seine Miene schien zu besagen, dass die Dinge in Wirklichkeit nie so einfach waren, wie sie vielleicht aussahen. Das kleine Kind auf dem Arm der Mutter wirkte erstaunt angesichts der Größe und Kälte der Welt.
    Der junge Mann war mit Sicherheit Tengos Vater. Auch wenn sein Gesicht eigentlich noch jugendlich war, hatte es seltsamerweise schon zu jener Zeit etwas Ältliches an sich, und die Augen lagen tief in den Höhlen. Die hageren Züge eines armen Bauern aus einem armen Dorf. Seine Haare waren alle gleich kurz, und sein Rücken war etwas krumm. Es konnte nur sein Vater sein. Also war das Kind aller Wahrscheinlichkeit nach Tengo und die Frau, die es liebevoll im Arm hielt, seine Mutter. Sie war etwas größer als sein Vater und machte eine bessere Figur. Sein Vater schien Ende dreißig, seine Mutter etwa Mitte zwanzig zu sein.
    Tengo sah dieses Bild natürlich zum ersten Mal. Bisher hatte er weder etwas, das man als Familienfoto hätte bezeichnen können, noch ein Foto von sich als Kind gesehen. Sein Vater hatte ihm erklärt, das Leben sei hart gewesen, und sie hätten kein Geld für einen Apparat und auch keine Zeit für Familienfotos gehabt. Tengo hatte ihm geglaubt. Aber das war eine Lüge gewesen. Es war ein Foto gemacht und aufbewahrt worden. Die kleine Familie sah nicht gerade reich aus, aber auch nicht so, dass man sich vor anderen Leuten hätte schämen müssen. Auf ihn wirkte es nicht, als sei ihr Leben so ärmlich gewesen, dass sie keinen Fotoapparat kaufen konnten. Die Aufnahme war nicht lange nach Tengos Geburt gemacht

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