1Q84: Buch 3
Bettes. »Das klingt doch, als würde man Zeichen geben, oder?«
»Ich glaube nicht, dass er Zeichen gegeben hat.«
»Und was war es dann?«
»Er hat an Türen geklopft«, sagte Tengo. Seine Kehle fühlte sich trocken an. »An Türen in irgendwelchen Hausfluren.«
»Aha? Na ja, wenn du es sagst, wird es wohl stimmen. Es hörte sich tatsächlich so an, als würde er an Türen klopfen.« Kumi Adachi kniff streng die Augen zusammen. »Meinst du, dass er, selbst als er bewusstlos war, noch Gebühren einsammeln ging?«
»Vielleicht«, sagte Tengo. »Irgendwo in seinem Kopf.«
»Wie dieser gefallene Trompeter im Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg, der seine Trompete nicht loslassen wollte«, sagte Kumi Adachi sichtlich beeindruckt.
Darauf hatte Tengo keine Antwort, also schwieg er.
»Dein Vater mochte seine Arbeit sehr, oder? Es gefiel ihm, die Gebühren für NHK einzusammeln.«
»Ich glaube, es ging nicht um Gefallen oder Nicht-Gefallen«, sagte Tengo.
»Worum denn dann?«
»Für meinen Vater war es einfach das, was er am besten konnte.«
»Aha, ich verstehe«, sagte Kumi Adachi. »Ist das nicht die beste Art zu leben?«, fügte sie nach kurzem Nachdenken hinzu.
»Wahrscheinlich«, sagte Tengo und ließ seinen Blick über das Kiefernwäldchen schweifen. Sicher hatte sie recht.
»Und was kannst du am besten?«, fragte Kumi Adachi.
»Ich weiß es nicht«, sagte Tengo und sah Kumi Adachi dabei ins Gesicht. »Ich weiß es wirklich nicht.«
Kapitel 22
Ushikawa
Augen voller Mitgefühl
Am Sonntagabend um fünfzehn Minuten nach sechs erschien Tengo im Eingang des Hauses. Bevor er ins Freie trat, blieb er stehen und schaute sich suchend nach allen Seiten um. Sein Blick wanderte von rechts nach links und von links nach rechts. Er schaute nach oben und dann zu Boden. Doch anscheinend konnte er nichts Außergewöhnliches entdecken und ging rasch auf die Straße hinaus.
Dieses Mal folgte Ushikawa ihm nicht. Tengo hatte nichts bei sich und seine großen Hände in den Taschen seiner Baumwoll-Chinos vergraben. Über seinem Rollkragenpullover trug er ein abgewetztes Cordjackett, aus dessen einer Tasche ein dickes Taschenbuch hervorschaute. Seine Haare waren schlecht gekämmt. Wahrscheinlich wollte er nur irgendwo in der Nähe etwas essen. Ushikawa konnte ihn ruhig gehen lassen.
Am kommenden Montag hatte Tengo einige Stunden zu geben. Ushikawa hatte an der Yobiko angerufen und sich davon überzeugt. Ja, sicher, Herrn Kawanas Unterricht finde ab Montag wieder planmäßig statt, hatte ihm die Dame im Sekretariat mitgeteilt. Gut. Tengo nahm also Anfang der Woche seinen normalen Stundenplan wieder auf. Und wie Ushikawa ihn kannte, würde er sich heute Abend nicht weit entfernen. (Hätte er Tengo beschattet, hätte er gewusst, dass dieser nach Yotsuya gefahren war, um sich dort in der Bar mit Komatsu zu treffen.)
Kurz vor acht schlüpfte Ushikawa in seinen Stutzer, wickelte sich den Schal um den Hals, zog sich die Strickmütze tief ins Gesicht und verließ, sich in alle Richtungen umschauend, eiligen Schrittes das Haus. Tengo war noch nicht wieder zu Hause. Anscheinend war er doch nicht nur um die Ecke essen gegangen. Es bestand also das Risiko, dass Ushikawa mit dem heimkehrenden Tengo zusammenstoßen würde, wenn er das Haus verließ. Aber er musste um diese Uhrzeit ausgehen, um sich Klarheit über etwas zu verschaffen.
Er folgte der Strecke, wie er sie im Gedächtnis hatte, und gelangte, um mehrere Ecken und nachdem er sich ein paarmal verlaufen hatte, zu dem Spielplatz im Park. Der gestrige starke Nordwind hatte sich gelegt, und für den Monat Dezember war es ein warmer Abend. Dennoch war der Park menschenleer. Wieder schaute Ushikawa sich in alle Richtungen um und stieg, nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand ihn beobachtete, die Stufen der Rutschbahn hinauf. Auf der oberen Plattform ließ er sich nieder und blickte, an das Geländer gelehnt, zum Himmel. Der Mond stand ungefähr an der gleichen Stelle wie am Abend zuvor. Er war zu zwei Dritteln voll und strahlte sehr hell. Nicht die kleinste Wolke befand sich in seiner Nähe. Neben ihm stand nur, als wolle er sich anschmiegen, der kleine, asymmetrisch geformte grüne Mond.
Also habe ich mich nicht geirrt, dachte Ushikawa und schüttelte seufzend den Kopf. Es war keine optische Täuschung gewesen. Und geträumt hatte er auch nicht. Über dem kahlen Keyaki-Baum standen zwei Monde, ein großer und ein kleiner. Es war nicht zu leugnen. Als hätten die beiden
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