1Q84: Buch 3
polizeiliche Ermittlungen nach sich, und seine Beziehung zu den Vorreitern käme unweigerlich ans Licht. Dieses Risiko konnte man nicht eingehen. Sobald die Leichenstarre vorüber war, wollte man den Toten möglichst unauffällig zu dem großen Verbrennungsofen auf dem sekteneigenen Gelände schaffen und ihn in schwarzen Rauch und weiße Asche verwandeln. Der Rauch würde am Himmel verschwinden, und die Asche konnte man auf den Feldern verstreuen und damit das Gemüse düngen. Man hatte schon mehrmals ähnliche Maßnahmen ergriffen, immer unter der Leitung des Kahlen. Den Leichnam des Leaders zum Beispiel hatte man aufgrund seiner Größe mit einer Kettensäge zerteilen müssen; bei einem kleinen Mann wie diesem würde das sicher nicht nötig sein. Zur Erleichterung des Kahlen, denn Blutvergießen war ihm von Natur aus zuwider, ob es sich nun um Lebende oder Tote handelte. Er mochte kein Blut sehen.
Seine Vorgesetzten hatten ihn gründlich ins Gebet genommen. Wer konnte Ushikawa getötet haben? Warum war er getötet worden? Zu welchem Zweck hatte er sich in diesem Mietshaus in Koenji eingemietet? Als Sicherheitschef musste der Kahle sich diesen Fragen stellen. Leider hatte er kaum Antworten parat.
Er hatte am Dienstag vor Morgengrauen den Anruf eines rätselhaften Mannes (Tamaru) erhalten und erfahren, dass Ushikawa tot in dieser Wohnung lag. Das Gespräch war direkt und indirekt zugleich gewesen. Der Kahle hatte, gleich nachdem er aufgelegt hatte, zwei Anhänger in der Stadt angerufen, und sie waren zu viert als Möbelpacker verkleidet mit einem Toyota High Ace zum Tatort gefahren. Um sicherzugehen, dass es sich nicht um eine Falle handelte, parkten sie in einiger Entfernung und kundschafteten zunächst die Umgebung aus. Sie mussten sehr vorsichtig sein. Möglicherweise wartete bereits die Polizei, um sie zu verhaften, sobald sie die Wohnung betraten. Das mussten sie unter allen Umständen vermeiden.
Sie hatten Ushikawas Leiche, die bereits zu erstarren begann, mehr schlecht als recht in einen Umzugskarton gezwängt, ihn aus dem Haus geschafft und auf die Ladefläche des High Ace bugsiert. Es war mitten in der Nacht und sehr kalt, daher war glücklicherweise kein Mensch unterwegs. Es hatte sie einige Zeit gekostet, nach Anhaltspunkten für den Tathergang zu forschen. Sie hatten alles gründlich mit ihren Taschenlampen durchsucht, aber nichts Auffälliges entdeckt. Neben einem Lebensmittelvorrat, einem kleinen Elektroheizer und einem Schlafsack war nur ein Minimum an Dingen vorhanden gewesen, die man im alltäglichen Leben brauchte. Im Abfalleimer hatten sich hauptsächlich leere Dosen und Getränkeflaschen befunden. Wahrscheinlich hatte Ushikawa in der Wohnung auf der Lauer gelegen und jemanden observiert. Dem aufmerksamen Blick des Kahlen waren die Spuren des Kamerastativs auf dem Tatami-Boden nicht entgangen. Aber weder von den Fotos noch von der Kamera fanden sie eine Spur. Wahrscheinlich hatte Ushikawas Mörder den Apparat mitsamt dem Film mitgenommen. Da Ushikawa nur mit seiner Unterwäsche bekleidet gestorben war, hatte man ihn wahrscheinlich in seinem Schlafsack überwältigt. Der Mörder musste lautlos in die Wohnung eingedrungen sein. Ushikawa schien ziemlich gelitten zu haben, denn seine Unterwäsche war völlig von Urin durchtränkt.
Anschließend hatten der Kahle und der Pferdeschwanz die Leiche nach Yamanashi gefahren. Die beiden anderen blieben in Tokio, um auf weitere Anweisungen zu warten. Die ganze Fahrt über saß der Pferdeschwanz am Steuer. Er fuhr den High Ace über die Stadtautobahn auf die zentrale Autobahn nach Westen. So früh am Morgen waren die Straßen noch leer, dennoch hielten sie sich strikt an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Sie durften auf keinen Fall riskieren, von der Polizei angehalten zu werden. Immerhin waren ihre Nummernschilder gestohlen, und auf der Ladefläche stand eine Umzugskiste mit einer Leiche. So leicht konnte man sich da nicht herausreden. Die beiden sprachen während der ganzen Fahrt kein Wort.
Als sie im Hauptquartier ankamen, wurde es gerade hell. Ein Arzt der Sekte erwartete sie schon. Er untersuchte Ushikawas Leichnam und stellte Tod durch Ersticken fest. Allerdings fand er keine Würgemale am Hals. Er vermutete, dass man Ushikawa eine Plastiktüte oder etwas Ähnliches über den Kopf gezogen hatte, um keine Spuren zu hinterlassen. Auch an seinen Armen und Beinen fand sich kein Hinweis darauf, dass er gefesselt worden war. Geschlagen oder gefoltert worden
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