1Q84: Buch 3
an dem Umstand, dass sie ein Haus für Opfer häuslicher Gewalt gestiftet hatte, nichts Ungewöhnliches. Es handelte sich um ein gesundes und lobenswertes gesellschaftliches Engagement. Sie besaß die finanziellen Mittel dazu, und die betroffenen Frauen waren sicher äußerst dankbar für die erwiesene Hilfe. Aber das Haus war für seinen Geschmack einfach zu stark bewacht. Das massive Eisentor, die Verriegelung, der Schäferhund, die vielen Überwachungskameras. Ushikawa konnte nicht umhin, etwas Übertriebenes daran zu finden.
Zunächst hatte er sich davon überzeugt, dass das Gebäude auf den Namen der alten Dame eingetragen war. Solche Informationen waren öffentlich, und ein Gang aufs Rathaus hatte genügt. Sowohl das Grundstück als auch das Gebäude befanden sich im persönlichen Besitz der alten Dame. Es lag auch keine Hypothek darauf. Alles war korrekt. Es war zwar eine jährliche Grundsteuer zu entrichten, aber diese Summe dürfte für sie unerheblich sein. Auch wegen der gerade geringen Erbschaftssteuer hatte es keine Schwierigkeiten gegeben. Dass Reiche sich so verhielten, kam äußerst selten vor. Soweit Ushikawa wusste, gab es keinen Menschenschlag, der es so sehr hasste, Steuern zu zahlen, wie die Reichen.
Seit dem Tod ihres Mannes lebte die alte Dame, abgesehen von einigen Angestellten, die es vermutlich gab, allein in der großen Villa. Sie hatte zwei Kinder. Der Sohn war der Ältere und damit der Erbe des Unternehmens. Er hatte drei Kinder. Die Tochter der alten Dame war vor fünfzehn Jahren an einer Krankheit gestorben.
Es war ganz leicht gewesen, an diese Informationen heranzukommen. Doch als Ushikawa versuchte, tiefer in die persönlichen Hintergründe einzudringen, stieß er plötzlich gegen eine unüberwindliche Mauer. Alle Wege endeten hier, und er kam nicht weiter. Die Mauer war hoch, und alle Tore waren fest verschlossen. Ushikawa wurde klar, dass die alte Dame nicht die Absicht hatte, auch nur den geringsten Einblick in ihre Privatsphäre zu gestatten. Um das zu verhindern, schien sie erhebliche Mühen und Kosten aufzuwenden. Sie antwortete nie auf Fragen und äußerte sich zu nichts. So viel Material er auch durchforstete, er bekam kein einziges Foto von ihr zu Gesicht.
Ihr Name war im Telefonbuch des Bezirks Minato eingetragen. Ushikawa rief versuchsweise unter der Nummer an. Es war sein Stil, alle Dinge praktisch und frontal anzugehen. Das Klingelzeichen ertönte zweimal, und ein Mann hob ab. Ushikawa verwendete einen falschen Namen und gab sich als Mitarbeiter einer einschlägigen Wertpapierfirma aus. »Ich würde gern mit der gnädigen Frau über ihre Investmentfonds sprechen«, begann er. »Die gnädige Frau kommt nicht ans Telefon«, erwiderte der Mann. »Alle Geschäfte werden von mir erledigt.« Er hatte eine geschäftsmäßige und irgendwie synthetisch klingende Stimme. Ushikawa sagte, es gehöre zu den Grundsätzen seiner Firma, vertrauliche Inhalte niemals an Dritte weiterzugeben. Daher würde er der gnädigen Frau die Dokumente in einigen Tagen auf dem Postweg zusenden. Das wäre sehr freundlich, entgegnete sein Gegenüber. Sie legten auf.
Obgleich er nicht mit der alten Dame hatte sprechen können, war Ushikawa nicht enttäuscht. Im Grunde hatte er nichts anderes erwartet. Ihn interessierte nur, warum die alte Dame so weit ging, um ihre Privatsphäre zu schützen. Sie war wirklich sehr vorsichtig. Offenbar wurde sie im Inneren ihrer Villa von mehreren Personen abgeschirmt. Diesen Eindruck hatte ihm der Ton des Mannes am Telefon – wahrscheinlich ein Sekretär – vermittelt. Ihr Name stand zwar im Telefonbuch, aber persönlich mit ihr sprechen durfte nur eine begrenzte Anzahl von Menschen. Die anderen wurden aussortiert und sogleich entfernt, wie Ameisen, die versuchten, in eine Zuckerdose zu gelangen.
Ushikawa gab sich als Wohnungssuchender aus und klapperte die Maklerbüros in der Nachbarschaft ab, um unauffällig Erkundigungen über das Frauenhaus einzuziehen. Die meisten wussten nicht einmal, dass das Haus überhaupt existierte. Grundsätzlich vermittelte man hier nur erstklassige Objekte, und an einem einstöckigen Mietshaus aus Holz bestand keinerlei Interesse. Nachdem man Ushikawas Gesicht und Kleidung kurz gemustert hatte, würdigte man ihn keines weiteren Blickes. Wahrscheinlich wäre selbst ein regennasser, schwanzloser, räudiger Hund mit etwas mehr Wärme behandelt worden.
Als Ushikawa schon fast aufgeben wollte, fiel ihm ein kleines, alteingesessen
Weitere Kostenlose Bücher