1Q84: Buch 3
sprach und kaum Kontakte pflegte.
Vor einigen Jahren hatte sie plötzlich in der Firma gekündigt, das Softball-Team verlassen und als Trainerin in einem elitären, teuren Sportstudio angefangen, wo sie dreimal so viel verdiente wie vorher. Sie war ledig und lebte allein. Einen Liebhaber schien sie nicht zu haben. Auf alle Fälle konnte Ushikawa weder Ungereimtheiten noch etwas Verdächtiges entdecken. Er verzog das Gesicht, seufzte und legte den Ordner, den er gerade zum x-ten Mal durchgelesen hatte, auf den Tisch. Ich habe etwas übersehen, dachte er. Etwas sehr Wichtiges, das ich nicht hätte übersehen dürfen.
Ushikawa nahm sein Adressbuch aus der Schreibtischschublade und wählte eine bestimmte Nummer. Sooft er Informationen brauchte, an die er auf legalem Weg nicht herankam, bediente er sich dieser Nummer. Der Mann, den er anrief, bewegte sich in noch trüberen Gewässern als Ushikawa. Aber für Geld konnte er fast alles beschaffen. Je strenger gehütet eine Information war, desto mehr berechnete er natürlich.
Ushikawa benötigte zweierlei. Zum einen persönliche Auskünfte über Aomames Eltern, die noch immer eifrige Anhänger der Gemeinschaft der Zeugen waren. Ushikawa war überzeugt davon, dass ihre Sekte die Daten sämtlicher Mitglieder im Land zentral verwaltete. In Japan gab es eine ganze Menge dieser Zeugen, und es herrschte reger Verkehr zwischen der Hauptstelle und den landesweit verstreuten Nebenstellen. Ohne Zentralarchiv konnte das System nicht reibungslos funktionieren. Das Hauptquartier der Sekte befand sich in einem Vorort von Odawara. Es war ein imposantes Gebäude auf einem weitläufigen Grundstück, auf dem es auch eine eigene Druckerei für die Prospekte und Zeitschriften, eine Versammlungshalle und Unterkünfte für angereiste Gläubige gab. Ushikawa zweifelte nicht daran, dass alle Informationen hier gelagert und kontrolliert wurden.
Zweitens musste Ushikawa sich Einblick in die Aufzeichnungen des Sportstudios verschaffen, in dem Aomame beschäftigt gewesen war. Was genau hatte sie dort getan und wann hatte sie wem Privatstunden gegeben? Dort wurden Informationen wahrscheinlich nicht so streng gehütet wie bei den Zeugen. Dennoch stand nicht zu erwarten, dass sie ihm sogleich bereitwillig Einsicht gewähren würden, wenn er dort aufkreuzte und fragte: »Wären Sie so nett, mir bitte Fräulein Aomames Ordner zu zeigen?«
Ushikawa hinterließ seinen Namen und seine Rufnummer auf dem Anrufbeantworter. Eine halbe Stunde später klingelte das Telefon.
»Herr Ushikawa«, sagte eine heisere Stimme. Er war diesem Mann noch nie persönlich begegnet. Sie verhandelten immer am Telefon. Material wurde per Eilpost versandt. Die heisere Stimme wurde hin und wieder von leichtem Husten unterbrochen. Offenbar hatte der Mann irgendein Problem mit dem Hals. Auf der anderen Seite der Leitung herrschte immer völlige Stille, als führe der Mann das Gespräch aus einem perfekt schallgedämpften Raum. Nur die Stimme und der pfeifende Atem des Mannes waren zu hören. Sonst nichts. Dadurch erhielten die hörbaren Laute nach und nach einen übertriebenen Klang. Was für ein unheimlicher Typ, dachte Ushikawa jedes Mal. Die Welt scheint voller unheimlicher Typen zu sein (und eigentlich bin ich ja selbst einer von ihnen). Er nannte den Mann bei sich nur »die Fledermaus«.
»In beiden Fällen geht es Ihnen um die Informationen, die mit dem Namen Aomame in Verbindung stehen, ja?«, sagte die Fledermaus heiser und hüstelte.
»Ja, so heißt sonst niemand.«
»Sie wollen möglichst alles, was Sie kriegen können?«
»Es ist ganz gleich, was es ist, solange es mit dem Namen Aomame zu tun hat. Wenn irgend möglich, hätte ich auch gern ein Foto, auf dem ihr Gesicht zu erkennen ist.«
»Das dürfte in dem Sportstudio nicht schwierig sein. In solchen Einrichtungen rechnet keiner damit, dass Informationen gestohlen werden. Bei den Zeugen ist das etwas anderes. Die sind eine große Organisation mit viel Kapital und strengsten Sicherheitsmaßnahmen. An eine Sekte heranzukommen ist immer schwierig. Denn da geht es auch um den persönlichen Schutz der Mitglieder und um Steuerfragen.«
»Halten Sie es für machbar?«
»Machbar ist alles. Man kann jede Tür öffnen. Viel schwieriger ist es, sie wieder zuzukriegen, wenn sie einmal offen steht. Doch schließen muss man sie, sonst wird man vielleicht von einer Abwehrrakete verfolgt.«
»Wie im Krieg.«
»Das ist Krieg. Bei so etwas lauern alle möglichen Gefahren
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