1Q84: Buch 3
ich ihn zurückgeben kann, und außerdem beschmutze ich ihn womöglich mit Menstruationsblut«, sagt Aomame.
Die Dame schüttelt, ohne etwas zu sagen, kurz den Kopf und kehrt durch den Stau zurück zu ihrem silbernen Mercedes-Coupé. Aomame scheint es, als würde sie ihr vom Fahrersitz aus zuwinken. Aber vielleicht sieht es auch nur so aus. In dem leichten, weichen Frühjahrsmantel fühlt Aomame sich geschützt. Ihr Körper ist niemandes Blicken mehr ausgesetzt. Und als habe er auf diesen Moment gewartet, rinnt ihr ein Blutstropfen den Oberschenkel hinab. Warmes, dickes, schweres Blut. Doch als sie genau hinsieht, ist es gar kein Blut, sondern eine farblose Flüssigkeit.
Der dritte Traum ließ sich nicht richtig in Worte fassen. Er war verschwommen, zusammenhanglos, ohne Handlung. Er bestand nur aus wechselnden Eindrücken. In ihm bewegte Aomame sich unablässig durch Zeit und Raum. Wann und wo war nicht von Bedeutung. Wichtig war nur die Bewegung an sich. Alles war im Fluss, und daraus entstand die Bedeutung. Doch während sie sich dem Fließen überließ, wurde ihr Körper nach und nach transparent, und sie konnte durch ihre Hände hindurchsehen. Ihre Knochen, ihre Organe und ihre Gebärmutter wurden sichtbar. Wenn es so weiterging, würde sie wahrscheinlich ganz verschwinden. Aomame überlegte, was aus ihr werden sollte, wenn sie unsichtbar geworden war. Es gab keine Antwort.
Gegen zwei Uhr am Nachmittag läutete das Telefon. Aomame, die auf dem Sofa ein Nickerchen gehalten hatte, fuhr auf.
»Gibt es etwas Neues?«, fragte Tamaru.
»Nichts Besonderes«, sagte Aomame.
»Der NHK -Kassierer?«
»Nicht mehr aufgetaucht. Wahrscheinlich war es doch nur eine leere Drohung.«
»Vielleicht«, sagte Tamaru. »Die Gebühren für die Wohnung werden über Dauerauftrag bezahlt, und an deiner Tür gibt es einen entsprechenden Aufkleber. Ein Kassierer müsste den eigentlich sehen. Ich habe bei NHK nachgefragt, und die haben das auch gesagt. Vermutlich ein Irrtum, sagen sie.«
»Dann reicht es wahrscheinlich, wenn ich einfach keine Notiz von ihm nehme.«
»Ich will nicht, dass die Nachbarschaft in irgendeiner Form aufmerksam wird. Außerdem bin ich ein Mensch, der nicht an Irrtümer glaubt.«
»Die Welt ist voller Irrtümer.«
»Die Welt ist die Welt, und ich bin ich«, sagte Tamaru. »Ich möchte, dass du mir alles erzählst, was dir auffällt, jede Kleinigkeit.«
»Hat sich bei den Vorreitern etwas getan?«
»Nein, sie verhalten sich sehr ruhig. Als sei nichts passiert. Vielleicht braut sich unter der Oberfläche etwas zusammen, aber erkennen lässt sich nichts.«
»Ich dachte, ihr habt eine Informationsquelle innerhalb der Sekte.«
»Wir haben Informationen, aber das sind nur belanglose Kleinigkeiten. Der interne Druck scheint sich verschärft zu haben. Sie haben den Hahn fest zugedreht.«
»Aber dass sie nach mir suchen, steht außer Frage.«
»Offenbar hat der Tod des Leaders eine immense Lücke geschlagen. Wen sie zu seinem Nachfolger bestimmen und welche Strategie sie fahren werden, scheint auch noch nicht entschieden zu sein. Aber in dem Punkt, dass man dich aufspüren muss, herrscht klares Einverständnis. Das sind die Fakten, die wir haben.«
»Die sind ja nicht gerade herzerwärmend.«
»Das Wichtige an Fakten ist ihr Gewicht und ihre Genauigkeit. Ihre Temperatur ist sekundär.«
»Wenn sie mich schnappen und die Wahrheit ans Licht kommt, wird das auch für euch problematisch«, sagte Aomame.
»Deshalb würde ich dich auch gern so schnell wie möglich an einen Ort verfrachten, an dem sie nicht an dich herankönnen.«
»Ich weiß. Aber hab noch ein bisschen Geduld.«
» Sie sagt, wir warten dieses Jahr noch ab, also warte ich natürlich.«
»Danke.«
»Ich muss dir danken.«
»Wie dem auch sei«, sagte Aomame. »Ich habe einen Wunsch für die nächste Lieferung. Es ist ein bisschen komisch, einen Mann um so etwas zu bitten.«
»Ich bin wie eine steinerne Mauer«, sagte Tamaru. »Und unverbesserlich schwul.«
»Ich möchte einen Schwangerschaftstest.«
Schweigen. »Du hältst es also für notwendig, einen solchen Test zu machen«, sagte Tamaru schließlich.
Es war keine Frage. Also antwortete Aomame auch nicht.
»Gibt es Grund zu der Annahme, du könntest schwanger sein?«, fragte Tamaru.
»Eigentlich nicht.«
Tamarus Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Wenn man die Ohren spitzte, konnte man das Geräusch hören.
»Es besteht also eine grundlose Notwendigkeit.«
»Ja.«
»Für
Weitere Kostenlose Bücher