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1WTC

1WTC

Titel: 1WTC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich von Borries
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unendlicher Raum, der die Illusion erzeugt, man befände sich im Inneren einer Wolke. Alles ist ganz weiß. Weiß, die Farbe der Unschuld. Helles Licht. Das Licht der Wahrheit. Blendung. Entgrenzung.
    Jetzt muss er das Ganze nur noch aufzeichnen.
    1784 entwirft der Architekt Étienne-Louis Boullée eine Kult- und Erinnerungsstätte für den Physiker Issac Newton. Das Kenotaph ist sein bekanntester Entwurf. Eine Kugel mit 150 Metern Durchmesser. Die Hülle ist mit kleinen Löchern versehen, damit im dunklen Inneren der Eindruck entsteht, man befände sich unter einem unendlichen Sternenhimmel.
    Der künstliche Himmel, schon damals der Versuch, die Unendlichkeit des Universums zu simulieren, die Absolutheit der Vernunft und ihre Gesetzmäßigkeiten sinnlich erfahrbar zu machen. Das Kenotaph für Newton wurde nie realisiert.
    Heute sind künstliche Himmel ein architektonischer Taschenzauber, technisch verfeinert in den Traumwelten von Las Vegas und Nachahmern in aller Welt.
    Weltausstellung Osaka 1970. Pepsi baut einen Pavillon. Ein kuppelförmiger Bau voller Spiegel. Nach außen ist er in eine künstliche Wolke gehüllt. Im Innenraum: Nebelmaschinen und Lichtprojektionen. Zugänglich nur durch einen unterirdischen Gang. Maximale Illusionstechnik, totales Theater. Auf der gleichen Weltausstellung ein weiterer Kuppelbau, der deutsche Pavillon, ausgeführt vom Architekten Fritz Bornemann für Karlheinz Stockhausens Komposition »Gesang der Jünglinge«. Die Besucher befinden sich auf einer in der Mitte des Raums aufgehängten Plattform, die Musik kommt aus ringsum angebrachten Lautsprechern. Lichtinstallationen, Spiegel und kinetische Objekte. Entgrenzung der sinnlichen Wahrnehmung durch Synästhesie.
    2001 bezeichnet Stockhausen den Anschlag auf das World Trade Center als »das perfekte Kunstwerk«.
    Elizabeth Diller (geboren 1954) und Ricardo Scofidio (geboren 1935) entwerfen für die Expo 2002 eine künstliche Wolke, die über dem Genfer See zu schweben scheint. Eine Stahlkonstruktion wird mit über 30.000 Düsen ausgestattet, die feine Wassertröpfchen in die Luft sprühen. Je nach Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Windrichtung ändert die Wolke ihre Form. Die Besucher der Ausstellung können auf Stahlstegen zur Wolke gelangen und in sie hineintreten. Architektur löst sich auf in eine nicht greifbare Atmosphäre.
    Sakralräume und Weltausstellungen. Religion und Kommerz. Die Heimat der Illusion. Barocke Deckengemälde, Augentäuschungen, die dem Volk den göttlichen Himmel an die Decke der Kirche zaubern sollten. Trompe l’œuil, Mimikry und Camouflage. Ist die Wirklichkeit eine Täuschung oder die Illusion eine Wirklichkeit? Kulissenmalerei. Die hohe Kunst, die Grenze von Fiktion und Realität zu verwischen, wie sie Baudrillard definiert:
    »Simulation: die Vortäuschung, die Verstellung, von lateinisch simulatio : die Verstellung, die Heuchelei, die Täuschung, das Vorschützen (eines Sachverhalts), die Vorspiegelung, der Vorwand, der Schein, die Vorschiebung; lateinisch similis : ähnlich, gleichartig, gleich.
    Dissimulation: die Verstellung, die Verstellungskunst, die Verheimlichung, die Verbergung, das Verhehlen, die Verschleierung; von lateinisch dissimulatio : das Unähnlich- oder Unkenntlichmachen, die Verkleidung, die Maskierung, die Verstellung, der Schein, die Verheimlichung.
    Simulakrum: das Trugbild, das Blendwerk, die Fassade, der Schein; von lateinisch simulacrum : das Bild, das Abbild, das Bildnis, die Nachbildung, das Gebilde, die Statue, das Götterbild, die Bildsäule, das Traumbild, der Schatten, das Gespenst.«
    Kurz vor neun schließt Tom die Tür zu seinem Büro auf, Sunner sitzt bereits an seinem Schreibtisch. Tom hatte nichts anderes erwartet. Sunner hat die Unterlagen, die auf dem Tisch liegen, schon durchgeblättert. Er dreht sich auf dem Stuhl und zeigt auf die Wand mit den Zeichnungen. Zitate islamischer Architektur. Säulen, Brunnen, Pflanzenrabatten.
    »So soll’s aussehen?«
    »Nein«, antwortet Tom, »das sind Vorstudien. Aber die gehen in die falsche Richtung. Es wird ganz anders. Ich hab noch nichts gezeichnet. Die entscheidende Idee ist mir erst eben unter der Dusche gekommen. Aber ich kann’s erklären.«
    Tom breitet den Grundriss des polnischen Flughafens auf dem Tisch aus. Mit dem Bleistift fährt er die Landebahn nach.
    »Hier kommen die Leute an. Die dürfen aber nicht merken, dass sie immer noch auf dem Flughafen sind. Das Paradies muss schallgeschützt ausgeführt werden,

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