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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Alissa?«
    »Ohne Probleme«, erwiderte ich. »Ein Auto hat mich mitgenommen.«
    Pjotr runzelte die Stirn.
    »Das hat Sie bestimmt eine hübsche Stange Geld gekostet oder?«
    »Nein«, log ich.
    »Dennoch war das ziemlich riskant«, meinte Pjotr. »Eine junge attraktive Frau mitten in der Nacht allein mit einem unbekannten Mann im Auto.«
    »Es waren zwei«, sagte ich. »Und die waren miteinander beschäftigt.«
    Pjotr hatte keine Ahnung, was ich meinte. »Es ist nicht an mir, Sie zu belehren, Alissa«, meinte er seufzend. »Sie sind erwachsen und wissen, was Sie tun. Aber begreifen Sie doch: Es passiert alles Mögliche. Das Artek ist ein Territorium der Kindheit, ein Territorium der Liebe, der Freundschaft und der Gerechtigkeit. Zumindest das konnten wir bewahren! Aber außerhalb des Pionierlagers ... laufen die unterschiedlichsten Menschen herum.«
    »Das stimmt«, pflichtete ich ihm reumütig bei. Erstaunlich, mit welch aufrichtigem Glauben er diese Worte voller Pathos aussprach. Und auch tatsächlich an sie glaubte.
    »Nun gut.« Pjotr stand auf und griff ohne Umstände nach meiner Tasche. »Gehen wir, Alissa.«
    »Ich find's schon allein, wenn Sie mir den Weg beschreiben ...«
    »Alissa!« Vorwurfsvoll schüttelte er den Kopf. »Sie würden sich verlaufen! Wir haben hier ein Areal von 258 Hektar! Gehen wir.«
    »Ja. Sogar Makar hat sich etwas verlaufen«, räumte ich ein.
    Pjotr stand bereits an der Tür, drehte sich jetzt aber scharf um. »Makar? Dieser fünfzehnjährige Junge? Hat der sich schon wieder am Eingangstor rumgetrieben?«
    Verwirrt nickte ich.
    »Klar...«, sagte Pjotr kalt.
    Wir traten in die warme Sommernacht hinaus. Es tagte bereits. Pjotr holte eine Taschenlampe hervor, schaltete sie aber nicht ein. Wir folgten einem Pfad nach unten, zum Ufer.
    »Es ist doch immer dasselbe mit diesem Makar«, bemerkte Pjotr im Gehen.
    »Ja?«
    »Er braucht nicht viel Schlaf ... wissen Sie ...« Pjotr lachte missmutig. »Deshalb fällt er mal den Wachen am Eingang auf die Nerven, mal rennt er runter zum Strand, und mal büxt er ganz aus.«
    »Ich habe geglaubt, er würde am Tor Posten stehen... wie früher die Pioniere«, meinte ich.
    »Alissa!«
    Diese Repliken beherrschte Pjotr meisterlich. Allein durch den laut ausgesprochenen Namen brachte er eine Vielzahl von Emotionen zum Ausdruck.
    »Die Kinder haben nachts zu schlafen! Und nicht Posten zu stehen... sei es am Eingang zu einem Ferienlager, sei es am ewigen Feuer oder sonst wo ... Und alle normalen Kinder liegen nachts auch in ihren Betten. Natürlich unterhalten sie sich noch etwas vorm Einschlafen, aber dann schlafen sie. Sie toben sich den Tag über derart müde ...«
    Unter seinen Füßen knirschte der Kies, denn wir hatten den mit Platten ausgelegten Weg verlassen. Ich zog meine Sandaletten aus und lief barfuß weiter. Angenehm war das, diese harten, kühlen Steinchen an den Füßen...
    »Einerseits könnte ich der Wache tüchtig den Kopf waschen«, dachte Pjotr laut nach. »Sie hätten den Jungen wegschicken müssen. Aber was wäre dann passiert? Sollen wir ihn ans Bett binden? Besser, er hockt ruhig bei den Erwachsenen, damit sie ihn im Auge haben, als dass er nachts allein im Meer schwimmt...«
    »Weshalb tut er das?«
    »Angeblich reichen ihm drei Stunden Schlaf täglich.« In
    Pjotrs Stimme schwang schwermütiges Mitleid mit. Er gehörte
    offensichtlich zu den Menschen, mit denen man besser telefo- niert oder sich in der Dunkelheit unterhält. Seine Mimik war
    nicht sehr ausgeprägt, sein Gesicht langweilig - aber seine Stimme wunderbar ausdrucksvoll! »Und so, wie er sich tagsüber aufführt, braucht er in der Tat nicht mehr. Aber darum geht es gar nicht...«
    »Sondern?« Mir war klar, dass er auf diese Frage wartete.
    »Er will jede Minute dieses Sommers, seiner Zeit hier im Artek, seiner Kindheit auskosten.« Pjotr wirkte jetzt eher nachdenklich. »Das erste und das letzte Mal im Artek. Was hat er denn bisher sonst schon an Schönem in seinem Leben gehabt?«
    »Was heißt das - das erste und das letzte Mal? Der Junge hat mir gesagt...«
    »Er ist ein Heimkind«, erklärte Pjotr. »Und schon ziemlich alt. Er wird kaum noch einmal zu uns kommen. Heutzutage kann ein Kind natürlich so oft es will ins Artek kommen, allerdings gegen Bezahlung, während ein Aufenthalt im Rahmen eines Wohltätigkeitsprogramms...«
    Ich trat sogar einen Schritt zurück. »Ein Heimkind? Er hat mir im Brustton der Überzeugung...«
    »Überzeugend sind sie alle«,

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