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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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entgegnete Pjotr gelassen. »Wahrscheinlich hat er Ihnen eine ziemlich sensationelle Geschichte erzählt, oder? Dass seine Eltern Geschäftsleute sind, er dreimal im Jahr ins Artek kommt, für den Herbst einen Urlaub auf Hawaii plant ... Sie wünschen sich das, und deshalb fan-tasieren sie es sich zusammen. Die Jüngeren ständig, bei den Älteren kommt es seltener vor. Vermutlich haben Sie ihm gefallen?«
    »Das würde ich nicht gerade behaupten.«
    »In diesem Alter können die Jungen ihre Zuneigung noch nicht ausdrücken ...«, meinte Pjotr sehr ernst. »Liebe und Hass sind ohnehin leicht miteinander zu verwechseln, erst recht in der Kindheit... Und wissen Sie, Alissa ..., wenn ich mir diese Bemerkung gestatten darf...«
    »Ja?«
    »Sie sind eine sehr attraktive junge Frau, aber das hier ist ein Ferienlager für Kinder, darunter auch etliche ältere Jungen. Ich will gar nicht verlangen, dass Sie sich nicht schminken oder dergleichen, aber... Versuchen Sie doch, auf diesen Minirock zu verzichten. Er ist einfach zu kurz.«
    »Nicht der Rock ist zu kurz«, erwiderte ich mit Unschuldsmiene. »Sondern meine Beine zu lang.«
    pjotr schielte zu mir herüber. Missbilligend schüttelte er den Kopf. »Entschuldigen Sie, das war nur ein Scherz«, sagte ich
    rasch. »Natürlich werde ich den in Zukunft nicht tragen. Ich habe Jeans, Shorts und sogar einen langen Rock dabei. Und einen hochgeschlossenen Badeanzug!«
    Den Rest des Weges sprachen wir kein Wort.
    Ich hatte keine Ahnung, woran Pjotr dachte. Vielleicht fragte er sich, ob ich überhaupt für die pädagogische Arbeit tauge. Vielleicht bemitleidete er seinen Schützling Makar. Vielleicht bedachte er ganz allgemein die Unzulänglichkeit der Welt. Das hätte zu ihm gepasst.
    Ich lächelte bei dem Gedanken daran, wie geschickt mich der Bengel an der Nase herumgeführt hatte.
    Das war er, unser zukünftiger Mitstreiter.
    Der zukünftige Dunkle.
    Selbst wenn er kein Anderer sein sollte, sondern weiterhin ein langweiliges Menschenleben führen müsste, sind es solche wie er, auf die wir uns stützen können.
    Dabei ging es natürlich nicht um den Streich. Die Lichten machen sich auch gern einen Spaß. Aber dass der Junge auf diese Ideen kommt - eine mit der Gegend unvertraute junge Frau mitten in der Nacht in einen Park zu führen und dort stehen zu lassen, stolz die schmale Brust vorzurecken und das erfolgreiche Kind aus einer snobistischen Familie zu mimen ... Das ist unsere Art.
    Einsamkeit, Ruhelosigkeit, Verachtung und Mitleid seitens
    der Umwelt sind unangenehme Gefühle. Aber sie sind es, aus denen echte Dunkle hervorgehen. Menschen oder Andere, die das Siegel der eigenen Würde tragen, die voller Stolz und Freiheitsdrang sind.
    Was wird aus einem Kind reicher Eltern, das tatsächlich jeden Sommer am Meer verbringt, ein renommiertes Gymnasium besucht, ernsthafte Pläne für die Zukunft schmiedet und gute Manieren beigebracht bekommt? Entgegen der landläufigen Meinung kaum einer von uns. Sicher, er muss auch nicht unbedingt bei den Lichten landen. Sein ganzes Leben gleicht einem Stück Scheiße im Abflussrohr: kleine Betrügereien, kleine Wohltaten, eine geliebte Frau und eine geliebte Geliebte, Intrigen gegen den Vorgesetzten, der Freund wird die Karriereleiter hinaufgezogen ... Mittelmaß. Nichts. Kein Feind, aber auch kein Verbündeter. Denn ein echter Lichter, das muss man anerkennen, flößt Respekt ein. Selbst wenn er gegen uns kämpft, selbst wenn seine Ziele unerreichbar sind, seine Handlungen naiv, bleibt er ein ernst zu nehmender Gegner. Wie Semjon oder Anton aus der Nachtwache...
    Die so genannten guten Menschen sind gleich weit von uns wie von den Lichten entfernt.
    Aber auf so einsame junge Wölfe wie Makar stützen wir uns.
    Er wächst mit dem festen Wissen auf, dass er kämpfen muss. Dass er allein gegen alle steht, dass er ebenso wenig auf Mitgefühl und Hilfe zu hoffen braucht, wie er selbst Mitleid und Barmherzigkeit zeigen sollte. Es kommt ihm nicht in den Sinn, die ganze Welt beglücken zu wollen, aber er fügt seiner Umwelt auch keine kleinen Gemeinheiten zu. Er stärkt seinen Willen und seinen Charakter. Er wird nicht untergehen. Wenn er Veranlagungen zum Anderen zeigt, wenn er die seltene und nicht vorhersagbare Kunst beherrscht, ins Zwielicht einzutreten -und das allein unterscheidet uns von den Menschen -, dann kommt der Junge zu uns. Doch auch wenn er ein Mensch bleibt, wird er unwillkürlich der Tagwache in die Hand arbeiten.
    Wie so viele

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