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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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tatsächlich ein Feuerchen?
    »Und danach?«
    Er schüttelte den Kopf. »Hier kann man nur bis sechzehn herkommen«, teilte er mir mit unverhohlenem Bedauern mit. »Mit sechzehn habe ich übrigens vor, zum Studium nach Cambridge zu gehen.«
    Beinahe hätte ich mich verschluckt. »Das ist ziemlich teuer, Makar.«
    »Ich weiß. Aber es ist schon alles seit fünf Jahren geplant, machen Sie sich da keine Sorgen.«
    Vermutlich der Sohn irgendeines Neureichen. Die planen in der Tat alles voraus.
    »Das ist eine wichtige Entscheidung. Willst du da bleiben?«
    »Nein. Wozu? Ich lasse mich solide ausbilden und komme dann nach Russland zurück.«
    Ein sehr ernster Junge. Man konnte sagen, was man wollte - aber man traf doch immer wieder bemerkenswerte Exemplare unter den Menschen. Schade, dass ich ihn im Moment nicht auf die Fähigkeiten eines Anderen testen konnte... Solche Jungs brauchen wir.
    Ich folgte meinem Begleiter von dem mit quadratischen Steinfliesen ausgelegten Weg auf einen schmalen Pfad.
    »Das ist eine Abkürzung«, erklärte der Junge. »Keine Sorge, ich kenne das Gelände wie meine Westentasche ...«
    Schweigend lief ich hinter ihm her. Dunkelheit umgab uns, und ich musste mich einzig auf meine menschlichen Fähigkeiten verlassen. Sein weißes Hemd stellte jedoch eine sichere Orientierung dar.
    »Sehen Sie das Licht da?«, fragte Makar, wobei er sich zurückdrehte. »Gehen Sie einfach darauf zu, ich bin jetzt nämlich weg...«
    Offenbar wollte der Junge mich verarschen ... Bis zu dem Licht waren es dreihundert Meter durch den dicht bewachsenen Park. Dann könnte er sich vor seinen Freunden dicke tun: Ich habe die neue Erzieherin in die Büsche gelockt und dort stehen lassen...
    Doch kaum machte Makar einen Schritt zur Seite, da blieb er mit dem Fuß irgendwo hängen und fiel mit einem überraschten Aufschrei zu Boden. Ich nahm ihm seinen Streich noch nicht mal krumm - dazu war das Ganze einfach zu komisch.
    »Und du hast gesagt, du kennst das Gelände wie deine Westentasche«, konnte ich mir nicht verkneifen.
    Er gab keine Antwort, sondern schniefte und rieb sich das aufgeschlagene Knie. Ich hockte mich neben ihn und sah ihm in die Augen. »Dabei wolltest du doch über mich lachen, nicht wahr?« 
    Der Bengel sah mich an - und blickte dann schnell weg. »Ent- schuldigen Sie ...«, murmelte er. »Machst du dich auch über
    alle andren lustig?«, fragte ich.
    »Nein...«
    »Und womit habe ich diese Ehre verdient?«
    Er antwortete nicht gleich.
    »Sie haben... so selbstsicher ausgesehen.«
    »Wie auch nicht«, stimmte ich ihm ohne weiteres zu. »Meine Reise hierher war voll von Abenteuern. Beinah hätte man mich umgebracht, Ehrenwort! Aber ich bin mit heiler Haut davongekommen. Was sollte ich da sonst für eine Miene aufsetzen?«
    »Entschuldigen Sie...«
    Die letzten Reste von Ernsthaftigkeit und Selbstsicherheit wichen von ihm. Ich setzte mich neben ihn. »Zeig mal dein Knie«, forderte ich ihn auf.
    Er nahm die Hand weg.
    Kraft. Ich wusste, dass es sie hier gab. Ich spürte sie fast, die in dem Jungen pulsierende Kraft: entstanden durch Schmerz, Empörung und Scham, diese heftige und reine Kraft ... Ich konnte sie fast aufnehmen, so wie jede x-beliebige Andere, deren Kraft die Schwäche der andern ist.
    Fast.
    Es war immer noch nicht das, was ich brauchte. Makar saß da, presste die Zähne zusammen und gab keinen Ton von sich. Er hielt sich - und er hielt die Kraft in sich. Das war für mich im Moment noch zu viel...
    Ich kramte eine kleine Taschenlampe aus meiner Handtasche und hielt den Lichtstrahl auf die Wunde.
    »Das ist nichts. Soll ich dir ein Pflaster draufkleben?«
    »Nicht nötig. Das geht schon von allein weg...«
    »Wie du meinst.« Ich erhob mich und leuchtete die Gegend um mich herum ab. O ja, es wäre nicht einfach gewesen, den
    Weg zu dem in der Ferne schimmernden Fenster zu finden ... »Was jetzt, Makar? Haust du ab? Oder bringst du mich doch noch zum Haus?«
    Schweigend stand er auf und stapfte los. Ich folgte ihm. Erst als wir vor dem Haus ankamen, das durchaus nicht klein war - ein einstöckiger Steinbau, eine Villa mit Säulen davor -, sagte Makar wieder etwas.
    »Werden Sie das dem Diensthabenden der Nachtschicht erzählen?«
    »Was?« Ich lachte los. »Es ist doch nichts passiert, oder? Wir sind ganz ruhig den Weg entlanggegangen...«
    Er schniefte kurz. »Entschuldigen Sie«, sagte er noch einmal, doch diesmal klang es weit aufrichtiger. »Das war ein blöder Scherz.«
    »Kümmer dich

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