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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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um dein Knie«, riet ich ihm. »Vergiss nicht, es dir auszuwaschen und Jod draufzuschmieren.«

Vier
    Nebenan rauschte Wasser - der Mann von der Nachtschicht hatte mit einer Entschuldigung das Zimmer verlassen, um sich zu waschen. Ich hatte ihn geweckt, als er friedlich unter dem Gekrächze eines lausigen chinesischen Kassettenrecorders gedöst hatte. Was ich nicht verstand, war, wie jemand bei Wys-sozki schlafen konnte. Allerdings waren diese Barden das Einzige, was man in dieser Seifendose überhaupt hören konnte.
    Gedichte wird es geben und auch Mathe, Und Orden, Pflichten, eine Übermacht...
    Die Zinnsoldaten auf der alten Karte
    Sind heute alle aufgestellt zur Schlacht, Die besser doch daheim geblieben wären.
    Doch Krieg ist Krieg, da lässt sich's nicht vermeiden:
    Es fallen Kämpfer in den beiden Heeren
    Zu gleichen Teilen auf den beiden Seiten. »Fertig, verzeihen Sie bitte ...« Der Mann kam aus dem winzigen Bad, wobei er sich das Gesicht mit einem Frotteehandtuch aus dem Artek abtrocknete. »Ich hatte einen anstrengenden Tag.«
    Ich nickte verständnisvoll. Der Kassettenrecorder spielte weiter und verstärkte pflichtschuldig die Wyssozki eigene Heiserkeit.
    Vielleicht ist die Erziehung nicht gelungen, Vielleicht wird auch die Bildung immer mieser? In
    diesem Feldzug wird kein Sieg errungen, Von jener
    Seite nicht und nicht von dieser. Also muss man
    sein Gewissen quälen, Dass man sich nicht vor sich
    selbst blamiert -Wie nun unter Zinnsoldaten
    wählen, Wem in diesem Kampf der Sieg gebührt? Der Mann runzelte die Stirn und stellte den Ton fast ganz runter. Er streckte mir die Hand entgegen. »Pjotr.«
    »Alissa.«
    Sein Händedruck war so kräftig, als begrüße er einen Mann. Sofort spürte ich die Distanz: Nur berufliche Beziehungen...
    Auch gut. Besondere Begeisterung rief der kleine, magere Mann bei mir nicht hervor, der selbst noch einem Jugendlichen glich. Natürlich wollte ich mir für den Urlaub einen Liebhaber zulegen, aber doch lieber einen jüngeren und hübscheren. Pjotr war mindestens fünfunddreißig, und selbst ohne die Fähigkeiten einer Anderen konnte ich ihn lesen wie ein offenes Buch. Ein Familienmensch, wie er im Buch steht, soll heißen: Er betrog seine Frau kaum, trank nicht, rauchte nicht und brachte für die Erziehung des - vermutlich einzigen - Kindes die nötige Zeit auf. Ein verantwortungsbewusster Mensch, der seine Arbeit liebte und dem man eine Horde verrotzter Kleinkinder oder auch randalierender Heranwachsender ohne Sorge anvertrauen konnte: Er würde ihnen den Rotz abwischen, ganz offen mit ihnen reden, ihnen die Wodkaflasche wegnehmen, einen Vortrag darüber halten, wie schädlich das Rauchen sei, und sie mit Arbeit, Erholung und Moral überhäufen.
    Kurzum, der Realität gewordene Traum der Lichten, aber kein Mensch aus Fleisch und Blut.
    »Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen«, sagte ich. »Ich habe schon sehr lange davon geträumt, einmal ins Artek zu kommen. Nur schade, dass es erst unter diesen Umständen klappt-« Pjotr
    seufzte.
    »Erinnern Sie mich nicht daran. Wir leiden alle mit Nastenka mit ... Sie sind mit ihr befreundet?«
    »Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin zwei Studienjahre unter ihr und kann mich, ehrlich gesagt, nicht mal an ihr Gesicht erinnern...«
    pjotr nickte und sah sich dann meine Papiere an. Die Begegnung mit Nastja jagte mir keine Angst ein, sie würde sich nämlich an mein Gesicht erinnern - Sebulon nimmt es mit den Details immer sehr genau. Wenn es im Artek keinen Anderen gab, dann war jemand aus Jalta oder Simferopol gekommen, hatte sich kurz mit Nastja unterhalten - und schon kam ich ihr bekannt vor.
    »Sie haben schon Gruppen geleitet?«
    »Ja, aber... natürlich nicht im Artek.«
    »Na und?« Pjotr zuckte die Schultern. »Wir haben hier zweitausenddreihundert Mitarbeiter, das ist der einzige Unterschied.«
    Der Ton, in dem er diese Worte sagte, passte nicht ganz dazu. Stolz war er aufs Artek, so stolz, als hätte er es selbst gegründet; als hätte er es persönlich mit dem Maschinengewehr in der Hand gegen die Faschisten verteidigt; als hätte er das Haus gebaut und die Bäume gepflanzt.
    Ich lächelte und brachte unmissverständlich zum Ausdruck: Ich glaube Ihnen nicht, schweige aber aus Höflichkeit.
    »Nastja arbeitet im Komplex Lasurny«, teilte Pjotr mir mit. »Ich bringe Sie jetzt zu ihr, denn Nastja muss ohnehin bald aufstehen. Um fünf Uhr geht ihr Wagen nach Simferopol ... Wie sind Sie denn hierher gekommen,

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