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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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war, und ihr schlecht gelaunter, verdrossen dreinblickender Vater schubste sie zum Autobus, und sie konnte sich nicht einmal mehr von ihren Freundinnen verabschieden, kein letztes Mal im Meer baden oder irgendwelche bedeutungsvollen Steine sammeln... und sie sträubte sich, bat den Vater, sie nicht zu hetzen, doch der wurde nur immer böser und böser... und sagte ihr etwas über schändliches Verhalten, darüber, dass es sich nicht zieme, ein so großes Mädchen noch zu verprügeln, aber wenn sie sich so aufführe, dann könne sie sein Versprechen vergessen, sie nie wieder mit dem Gürtel zu bestrafen...
    Wirklich ein schlimmer Traum. Nastjas Abreise hatte stark auf das Mädchen gewirkt...
    Jeder würde jetzt versuchen, der Kleinen zu helfen.
    Ein Mensch würde ihr übers Haar streichen, zärtlich auf sie einflüstern, vielleicht sogar ein Schlaflied singen ... Kurzum, er würde versuchen, den Traum zu unterbrechen.
    Ein Lichter würde seine Kraft einsetzen, um den Traum in die entgegengesetzte Richtung zu lenken, sodass der Vater lachen und sagen würde, die Mama werde schon wieder gesund und er würde jetzt mit ihr zum Strand hinuntergehen... Er würde den harten, aber realistischen Traum in eine süße Lüge verwandeln.
    Ich war eine Dunkle.
    Und tat das, was ich konnte. Ich trank ihre Kraft. Saugte sie in mich ein - sowohl den schlecht gelaunten Vater wie auch die kranke Mutter, die für immer verlorenen Freundinnen, die nicht gesammelten Steine und die beschämenden Prügel...
    Das Mädchen fiepte leise wie ein zerquetschtes Mäuschen. Um dann ruhig und gleichmäßig zu atmen.
    Kinderträume bergen kaum Kraft. Das ist schließlich nicht
    der Ritualmord, mit dem wir den Lichten gedroht hatten
    und der wirklich enorme Energie freisetzt. Es sind Träume, einfach Träume.
    Eine kräftigende Brühe für eine kranke Hexe...
    Ich erhob mich wieder. In meinem Kopf drehte es sich leicht. Nein, noch hatte ich die verlorenen Fähigkeiten nicht zurückerlangt. Ein Dutzend solcher Träume würden nötig sein, um die klaffende Lücke zu stopfen.
    Aber diese Träume würde es auch in Zukunft geben. Dafür würde ich schon sorgen.
    Kein weiteres Mädchen träumte etwas. Halt, ein Kind träumte noch etwas, aber das war ein Traum, der mir nichts nutzte, ein dummer Mädchentraum von einem sommersprossigen Jungen, der ihr einen dieser blöden Steine mit einem Loch geschenkt hatte, einen so genannten Hühnergott. Was sollten diese Hühner auch sonst bekommen, wenn nicht einen Hühnergott...
    Ich blieb ein Weilchen am Bett des Mädchens stehen, das vermutlich am weitesten von allen entwickelt war. Selbst der Busen zeichnete sich bei ihr schon leicht ab. Ein paarmal berührte ich ihre Stirn und versuchte, wenigstens etwas zu finden. Nichts. Das Meer, die Sonne, der Strand, Wasserspritzer und dieser Junge. Kein Funken Bosheit, Neid oder Trauer. Hier könnte ein Lichter Magier Kraft schöpfen, er bräuchte nur diesen Traum zu trinken und würde zufrieden abziehen. Für mich bot er nichts.
    Halb so schlimm, es würde ein weiterer Abend kommen, eine neue Nacht. Und dann würde meine pummelige Spenderin der gleiche Albtraum heimsuchen, denn ich hatte von ihr alle Angst genommen, die Gründe dafür jedoch nicht beseitigt. Der Albtraum würde wiederkehren, und ich würde sie erneut von ihrer Angst befreien. Das Wichtigste war, es nicht zu übertreiben, das Mädchen nicht tatsächlich in einen Nervenzusam- menbruch zu treiben: Dazu hatte ich kein Recht. Das grenzte bereits an eine regelrechte magische Intervention, und sollte es hier im Ferienlager nur einen Beobachter der Lichten geben oder, was das Dunkel ebenfalls nicht auf die leichte Schulter nehmen durfte, einen Anderen von der Inquisition, würde ich ernsthafte Probleme bekommen.
    Außerdem würde ich Sebulon nicht noch einmal hintergehen.
    Nie wieder.
    Erstaunlich genug, dass er mir verziehen hatte, was im letzten Sommer geschehen war. Aber ein zweites Mal würde er mir nicht verzeihen. Um zehn Uhr morgens ging ich mit meinen Schützlingen zum Frühstück.
    Nastja hatte Recht, ich kam hervorragend klar.
    Natürlich waren die Mädchen unmittelbar nach dem Aufwachen zurückhaltend gewesen. Aber wie sollte es auch anders sein, wenn die heiß geliebte Erzieherin mitten in der Nacht zu ihrer kranken Mama fuhr und an ihrer Stelle eine neue Frau in den Schlafsaal kam, eine Unbekannte, eine Fremde, die ihrer Nastja in nichts glich! Sofort hatte ich gespürt, dass die achtzehn Augenpaare mich

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