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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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voller Vorbehalt und sogar mit Misstrauen ansahen, dass sie zusammenstanden, während ich allein war.
    Gerettet hat mich, dass die Mädchen noch klein waren und ich schön bin.
    Wären an ihrer Stelle Jungen im selben Alter gewesen, hätte mein Aussehen nicht die geringste Rolle gespielt. Für zehnjährige Jungen ist jeder streunende junge Hund interessanter als die attraktivste Frau. Wären meine Schützlinge ein oder zwei Jahre älter gewesen, hätte meine Schönheit sie eifersüchtig ge_ macht.
    Aber für zehnjährige Mädchen taugt eine schöne Frau noch als Objekt der Bewunderung. In ihnen erwachen gerade Koket- terie und der Wunsch zu gefallen, aber sie verstehen noch
    nicht, dass nicht alle schön sein können. Ich wusste das, ich
    war
    selbst so gewesen und hatte dereinst meinen Vormund, die Hexe Irina Alexandrowna, mit weit aufgerissenen Augen angestaunt ...
    Und ich hatte schnell eine gemeinsame Sprache mit den Mädchen gefunden.
    Ich hatte mich zu Oletschka aufs Bett gesetzt, laut Eintragung im Heft dem stillsten und schüchternsten Kind. Hatte mit den Mädchen über Nastja gesprochen, darüber, wie schlimm es ist, wenn die Mutter krank wird, darüber, dass sie Nastja nichts übel nehmen dürfen ... sie wäre so gern bei ihnen geblieben, aber die eigene Mama geht nun mal vor!
    Nachdem ich fertig gewesen war, hatte Oletschka angefangen zu heulen und sich an mich geschmiegt. Auch die andren bekamen feuchte Augen.
    Danach hatte ich ihnen von meinem Vater erzählt, von seinem Infarkt und davon, dass sein Herz jetzt gut kuriert wird und das mit Nastjas Mutter ganz bestimmt auch alles in Ordnung sein würde. Ich hatte der dunkelhäutigen Kasachin Gul-nara beim Flechten ihrer Zöpfe geholfen - sie hatte wunderschönes Haar, war aber, wie Nastja bemerkt hatte, eine Transuse. Hatte mit Tanja aus Petersburg darüber debattiert, ob es aufregender sei, mit dem Zug oder mit dem Flugzeug ins Artek zu kommen, und natürlich ihrer Ansicht beigepflichtet, dass es mit dem Zug viel lustiger sei. Anja aus Rostow am Don hatte ich versprochen, ihr bis heute Abend das Schwimmen beizubringen, sodass sie nicht mehr nur am Rand zu planschen brauchte. Wir hatten über die Sonnenfinsternis diskutiert, die es in drei Tagen geben würde, und bedauert, dass sie auf der Krim nicht ganz vollständig sei.
    Als wir dann zum Frühstück gingen, hatten wir uns bereits angefreundet und lachten miteinander. Nur Olga, die »auf gar
    keinen Fall Oletschka, sondern unbedingt Olga« genannt werden wollte, und ihre Freundin Ljudmila schmollten noch ein wenig. Kein Wunder, sie waren eindeutig Nastjas Lieblinge gewesen.
    Halb so wild - in drei Tagen würden sie alle mich lieben.
    Und ringsum war es einfach wunderschön!
    August auf der Krim - das ist einmalig. Unten glänzte das Meer, in der Luft lagen der Geruch des Salzwassers und Blumenduft. Die Mädchen kreischten, rannten bald vor, bald zurück, rempelten sich an. Vermutlich hatten die Pionierlieder doch einen Sinn gehabt: Wenn du aus vollem Hals singst, kannst du kaum noch kreischen.
    Aber ich kenne keine Pionierlieder, ich kann nicht in Reih und Glied marschieren.
    Ich bin eine Dunkle.
    Im Speisesaal folgte ich einfach meinen Schützlingen, schließlich wussten sie, wo wir saßen. Fünfhundert Kinder unterschiedlichen Alters veranstalteten einen gewaltigen Radau, schafften es dabei aber noch zu essen. Still setzte ich mich zu meiner Mädchengruppe und versuchte, die Lage einzuschätzen. Immerhin würde ich einen ganzen Monat hier bleiben.
    Etwa fünfundzwanzig Gruppenleiter waren mit ihren Kindern zum Frühstück erschienen. Mein bescheidener Stolz, wie leicht ich mit meinen Schützlingen zurechtgekommen war, verflüchtigte sich schnell. Diese jungen Frauen und Männer konnten eher als ältere Brüder und Schwestern der Jungen und Mädchen durchgehen. Mal waren sie streng, mal zärtlich - aber sie alle stellten eine Autorität dar und wurden geliebt.
    Wo nehmen sie all diese Leute bloß her?
    Meine Stimmung sank langsam. Lustlos spießte ich meine »Leberpfannkuchen« auf, die es neben Buchweizenkascha und Kakao zum Frühstück gab, und dachte wehmütig über die nicht gerade beneidenswerte Lage einer Spionin auf fremdem Territorium nach. Zu ausgelassen war hier alles, man lachte zu viel, und es gab zu viele harmlose Streiche. Hier sollten die Lichten ihre Schutzbefohlenen aufziehen, die kleinen Menschenkinder im Geiste der Liebe und Güte erziehen, statt dass ich, eine Dunkle, hier Kraft

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