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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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ganzen Sommer über nicht einmal gebadet.
    Das konnte ich jetzt nachholen. Alles lief problemlos, alles ging seinen Gang. Ich traf die Leiterin des Komplexes Lasurny, eine sehr sympathische Frau, die auf angenehme Art sachlich und im Gespräch alles andre als weitschweifig war. Meiner Ansicht nach trennten wir uns im besten Einvernehmen voneinander.
    Ob das vielleicht auch daran lag, dass ich heute leichte Sommerjeans trug statt eines provozierenden Minirocks?
    Danach konnte ich mich endlich in die Sonne legen und baden. Der Strand des Artek war traumhaft, nur das viele Kindergeschrei störte. Was freilich ein unvermeidliches Übel war. Mei-ne Mädchen ließen sich wie die Profis in der Sonne ihnen hatte Sonnencreme und After-Sun-Lotion dabei, die sie großzügig untereinander teilten, sodass am Abend kein Gejammer wegen verbrannter Schultern und Rücken zu erwarten war
    Wenn ich mich doch bloß auch ansonsten nicht um die Mädchen kümmern müsste ... Ich stellte mir vor, wie ich zwei, drei Kilometer hinausschwamm, die Arme ausbreitete, im Wasser lag ... in den transparenten Himmel schaute, auf den sanften Wellen schaukelte, an nichts dachte und nichts hörte...
    Aber nein. Ich musste auf sie aufpassen. Musste Anja das Schwimmen beibringen und Verotschka, die schon eine Schwimmprüfung für Erwachsene abgelegt hatte, von einem Wettschwimmen abhalten. Musste die Kinder in den Schatten treiben, denn eincremen allein reicht nicht, auch auf die Disziplin ist zu achten ... Kurzum, ich hatte zu diesem wunderbaren Meer noch achtzehn kapriziöse, schreiende, unersättliche Gören als Dreingabe bekommen. Lediglich der Gedanke an die kommende Nacht brachte mich zum Lächeln. Dann würde meine Zeit kommen, mit den größten Quälgeistern abzurechnen, wofür ich mir bereits Verotschka, Olga und Ljudmila ausgeguckt hatte! Heute Nacht würde ich nicht auf zufällige Kraftausstöße hoffen. Ich würde einen Samen legen, der in ihren Träumen aufgehen würde.
    Und dann sah ich Igor.
    Sicher, in dem Moment wusste ich noch gar nicht, wie er hieß. Ich lag im warmen Sand und sah mich um, wobei mein Blick auf einen kräftigen Mann in meinem Alter fiel. Er tobte mit seiner Brut - Jungen von zehn, elf Jahren - durchs Wasser. Drückte sie unter Wasser, bot ihnen seine Schulter als Trampolin zum Springen dar, kurzum, er vergnügte sich aufs Prächtigste. Er war noch ganz blass, was ihm aber irgendwie stand -im Kreis der braun gebrannten Kinderkörper ragte der Mann wie ... wie der weiße Elefant des Königs heraus, der sich dazu herabgelassen hatte, in der Menge dunkelhäutiger Hindus ein-herzuschreiten...
    Ein schöner Mann. In meinem Bauch jammerte es süß auf. Letztendlich trennt uns
    doch nicht so viel von den Menschen. Auch wenn ich im
    Grunde wusste, dass es zwischen Anderen und Menschen ei- nen enormen Abgrund gab, weshalb dieser Mann mir nicht das
    Wasser reichen konnte und es zwischen uns langfristig nie
    etwas geben würde. Dennoch...
    Solche Typen gefielen mir: muskulös, blondhaarig, mit klugem Gesicht. Da wurde ich einfach schwach.
    Aber wollte ich denn stark bleiben?
    Schließlich hatte ich die Absicht, mir für den Sommer einen Liebhaber zuzulegen...
    »Oletschka, weißt du zufällig, wie der Mann da heißt?«, fragte ich das Mädchen, das sich an mich schmiegte. Oletschka hegte für mich ganz offenbar Sympathie, weil ich sie, wenn auch nur ein wenig, aus der Masse heraushob, und wich jetzt nicht von meiner Seite, sondern versuchte, den Erfolg auszubauen. Sie sind schon komisch, diese Menschen, vor allem die Kinder. Alle wollen sie, dass man sich um sie kümmert und ihnen Aufmerksamkeit schenkt.
    Oletschka schaute hinüber und schüttelte den Kopf.
    »Das ist die vierte Gruppe, aber die hatten früher einen andern Erzieher.«
    In den Augen des Mädchens funkelte es beunruhigt auf. Ob sie Angst hatte, ich könnte wegen dieser Unkenntnis von ihr enttäuscht sein? Vermutlich schon....
    »Soll ich es für Sie rausfinden?«, fragte Oletschka. »Ich kenn da ein paar Jungen...«
    »Ja«, nickte ich.
    Das Mädchen sprang unter Sandgestöber auf und rannte zum Wasser. Ich drehte mich um und verbarg mein Lächeln. Schön. Da hatte ich also auch meine erste Kundschafterin.
    Ein verhuschtes, dürres Mädchen, das gierig nach jedem Blick von mir schielte.
    »Er heißt Igor«, meinte die neben mir sitzende Natascha plötzlich. Das Mädchen, das letzte Nacht von einem Jungen geträumt hatte. Sie bräunte sich auch schon nicht mehr wie ein

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