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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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tankte.
    Ein schöner Betrug. Dicker Lack mit Vergoldung!
    Natürlich, beruhigte ich mich, wenn man sich mit dem Blick eines Anderen umschaute, sähe Vieles anders aus. Unter all die-sen freundlichen Menschen würde ich die Dreckskerle erkennen, die perversen, bösen, gleichgültigen Typen...
    Oder auch nicht! Möglicherweise gab es sie hier ja tatsächlich nicht. Vielleicht waren wirklich alle ehrlich - soweit das überhaupt möglich ist. Liebten die Kinder, das Ferienlager und einander aufrichtig und ohne Hintergedanken. Vielleicht war das hier tatsächlich jenes Reservat von Idioten, in das die Lichten am liebsten die ganze Welt verwandeln wollten.
    Dann würden die Lichten also doch nicht im luftleeren Raum handeln...
    »Guten Morgen...«
    Ich wandte mich dem Jungen zu, der gerade vorbeiging. Aha, ein alter Bekannter, genauer, mein erster Bekannter hier im Artek.
    »Guten Morgen, Makar.« Ich schielte auf sein aufgeschlagenes Knie. »Wo ist das Jod?«
    »Ist doch nur 'ne Kleinigkeit, das heilt von selbst«, murmelte der Junge. Er sah mich leicht besorgt an - offenbar versuchte er herauszukriegen, ob ich bereits etwas über ihn herausgefunden hatte.
    »Mach, dass du weiterkommst, sonst kriegst du kein
    Frühstück mehr.« Ich lächelte ihn an. »Vielleicht brauchst du ja
    nur drei Stunden Schlaf, aber was das Essen angeht - das ist
    doch wohl eine andre Frage. Hier gibt es zwar auch bloß
    Anstalts-essen, aber es schmeckt trotzdem.«
    Schnell lief er an den Tischen entlang. Er hatte verstanden, dass ich bereits über ihn Bescheid wusste, sowohl über seine nächtlichen Ausflüge wie auch über seinen tatsächlichen sozialen Status. Wenn ich in Form gewesen wäre, hätte ich jetzt ordentlich Kraft zu mir nehmen können...
    »Woher kennst du denn den, Alissa?«, flüsterte Oletschka laut.
    Ich setzte eine verschwörerische Miene auf. »Ich kenne alle und weiß alles...«
    »Warum?«, fragte Oletschka weiter.
    »Weil ich eine Hexe bin!«, teilte ich ihr mit Grabesstimme mit.
    Das Mädchen stimmte ein fröhliches Gelächter an.
    Ja, ja, das war schon sehr komisch... vor allem deshalb, weil es die reine Wahrheit war... Ich tätschelte ihr den Kopf und deutete mit den Augen auf ihren vollen Teller.
    Jetzt musste ich noch den offiziellen Teil hinter mich bringen und die Leitung vom Komplex Lasurny kennen lernen. Danach warteten der Strand und das Meer auf mich, von dem die Mädchen geschwärmt hatten.
    Ehrlich gesagt, konnte ich nicht verhehlen, dass ich mich auf das Meer genauso freute wie auf die kommende Nacht. Ich bin eine Dunkle, gut - aber sogar Vampire lieben entgegen der Meinung aller Spießer Meer und Sonnenschein.
    Im letzten Jahr war ich gegen Ende des Sommers nach Júrmala gefahren. Warum ausgerechnet dahin, vermochte ich nicht zu sagen. Vielleicht/weil ich mal ein echt ungemütliches Plätzchen kennen lernen wollte. Was mir auch hervorragend geglückt ist. Der August war verregnet, kalt und trostlos. Sobald die reservierten lettischen Kellner die Höhe meiner Bestellung überschlagen hatten, fingen sie an, mit mir Russisch zu reden. Der Service im Hotel war sowjetisch einfach, trotz der vier Sterne, die das Hotel beanspruchte. Ich durchstreifte das gesamte lürmala. Saß lange in einer Bierstube in Majori, spazierte über den feuchten Sand des menschenleeren Strands und verbrachte ab und an einen Abend in Riga. Zweimal hatte man versucht
    mich zu berauben, einmal, mich zu vergewaltigen. Ich
    amüsier- te mich, so gut es ging - da besaß ich schließlich noch die Fähigkeiten einer Anderen, und kein Mensch auf der Welt hätte
    mir ein Leid antun können. In meiner Seele gab es nur Schwermut und Leere, dafür verfügte ich über Kraft im Übermaß.
    Dann hing mir das alles zum Hals raus. Ganz plötzlich, von einem Tag auf den andern. Vielleicht lag es an zwei Fahndern der Nachtwache, die mich in Dzintari festgenommen hatten und lange versuchten, mir ein unaufgeklärtes Verbrechen im Zusammenhang mit Magie dritten Grades in die Schuhe zu schieben. Sie traten mit tadelloser Höflichkeit auf und zeigten sich absolut unerbittlich. So mussten die Lettischen Roten Schützenregimenter und etwas später die Partisanenbewegung der Waldbrüder gewesen sein. Ein sehr konsequentes Volk, die Letten. Wenn sie eine Sache anfangen, bringen sie sie auch zu Ende...
    Die Anklage gegen mich wurde fallen gelassen, ihr fehlte einfach jede Grundlage. Doch schon am nächsten Morgen flog ich zurück nach Moskau. So hatte ich den

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