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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Kind, sondern saß mit ausgestreckten Beinen da, den Kopf in den Nacken gelegt und die Hände hinter sich in den Sand gestützt. Bestimmt hatte sie diese Pose in einer Modezeitschrift oder einem Film gesehen. Möglicherweise glaubte sie aber auch, dass sich in dieser Haltung ihr kleiner Busen unter dem Badeanzug abzeichnen würde. Sie würde es weit bringen...
    »Danke, Natascha«, meinte ich. »Ich glaube, ich kenne ihn.«
    Das Mädchen schielte zu mir herüber und lächelte. »Er sieht sehr gut aus...«, meinte sie verträumt.
    Was war bloß aus unserer Jugend geworden!
    »Nur etwas alt, oder?«, versuchte ich sie aufzuziehen.
    »Nein, das geht noch«, erklärte das Mädchen.
    Um mich mit ihren nächsten Worten vollends zu frappieren. »Er ist zuverlässig, oder?«
    »Wie kommst du darauf?«
    Natascha dachte eine Sekunde nach. »Ich weiß nicht«, brachte sie zögernd hervor. »Ich hab den Eindruck. Meine Mama sagt, das Wichtigste bei einem Mann ist Zuverlässigkeit. Schön muss er nicht unbedingt sein und klug erst recht nicht.«
    »Das hängt davon ab, was du von ihm willst ...« Ich wollte mich einem elfjährigen Schlauköpfchen nicht geschlagen geben.
    »Ja«, stimmte Natascha ohne weiteres zu. »Attraktive Männer muss es auch geben. Aber ich rede nicht von irgendwelchen Belanglosigkeiten.«
    Was für ein Schatz! Wenn sich dieses Mädchen zufällig als Andere erweisen sollte, würde ich sie sofort als Schülerin nehmen. Die Chancen dafür standen zwar schlecht, aber trotzdem ...
    Im nächsten Moment allerdings sprang Natascha, ihre ganze bisherige Weisheit einbüßend, auf und rannte runter zum Wasserzu irgendeinem Jungen, der sie mit Wasser bespritzte. Ob
    unter Zuverlässigkeit ein täglicher Guss am Strand zu verstehenwar?
    Ich sah erneut zu Igor hinüber. Er tobte jetzt nicht mehr durchs Wasser, sondern scheuchte seine Schützlinge ans Ufer.
    Was für eine bemerkenswerte Figur! Auch die Kopfform zeichnete sich durch ihre Regelmäßigkeit aus. Vielleicht klingt das komisch, aber neben einer guten Figur gefallen mir an Männern vor allem zwei Dinge: eine schöne Kopfform und gepflegte Zehen. Ob das eine Art Fetischismus ist?
    Die Zehen konnte ich natürlich nicht sehen. Aber der Rest gefiel mir.
    Meine Spionin kam zurück, um Bericht zu erstatten. Ein nasses, aufgeregtes, glückliches Mädchen. Sie ließ sich neben mir in den Sand plumpsen.
    »Er heißt Igor Dmitrijewitsch«, flüsterte sie mir zu, während sie nervös eine Haarsträhne um den Finger wickelte. »Er ist lustig und erst gestern angekommen. Er spielt Gitarre und singt dazu und kann interessante Geschichten erzählen. Der Leiter der vierten Gruppe ist abgereist, seine Frau hat einen Sohn bekommen, er hat geglaubt, es ist erst in einem Monat so weit, aber das Kind ist schon jetzt gekommen!«
    »Es kommt, wie es kommt«, sagte ich - und dachte dabei durchaus an meine eigene Situation. Da ich momentan über keinerlei Kraft verfügte und den Mann nicht magisch dazu bringen konnte, sich in mich zu verlieben, kam mir dieser Zufall recht gelegen. Wenn er gerade erst angekommen war, hatte er noch keine Affäre anfangen können ... Ob er ebenfalls einen ganzen Monat bleiben wollte, im Dienste der angewandten Pädagogik? Dann würde er mir schon in die Hände fallen...
    Oletschka kicherte fröhlich.
    »Außerdem ist er Single«, fügte sie mit leiser Stimme hinzu.
    Was sollte man bloß mit diesen Gören machen?
    »Danke, Oletschka.« Ich lächelte. »Wollen wir schwimmen?«
    »Hm...«
    Ich zog das ausgelassen quietschende Mädchen hoch und rannte ins Wasser. Bis heute Abend würden die Mädchen über nichts andres reden als über diesen Gruppenleiter und mein Interesse an ihm.
    Sollten sie.
    In ein paar Tagen würde ich sie zwingen können, alles zu vergessen, was ich für nötig hielt. Der Tag flog dahin wie ein Film im Schnelldurchlauf.
    Dieser Vergleich traf es insofern nur allzu genau, als ich genau in dem Monat ins Artek gekommen war, in dem hier traditionell das Kinderfilmfestival stattfindet. In zwei Tagen würde es feierlich eröffnet werden, und bereits jetzt traten in einigen Komplexen des Ferienlagers Regisseure und Schauspieler auf. Mein Bedarf, alte oder neue Kinderfilme zu sehen, hielt sich in Grenzen, doch immerhin versprach das Ganze eine kleine Entlastung bei der Aufsicht der Kinder. Und die brauchte ich - ich fühlte mich so ausgelaugt wie nach einer anstrengenden Patrouille durch die Straßen Moskaus.
    Nach dem Mittagessen, das aus

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