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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Apfelsaft und einem Brötchen mit dem romantischen Namen »Lasurny« bestand, hielt ich es nicht länger aus und rief Sebulon an. Sein überall auf der Welt funktionierendes Funktelefon reagierte nicht, was nur eins heißen konnte: Der Chef hielt sich nicht in unserer Welt auf, sondern irgendwo im Zwielicht.
    Nun ja, er muss sich um vieles kümmern.
    Und mitunter um Dinge, die nicht zu den angenehmsten zählen. Sich durch die tieferen Zwielicht-Schichten, in denen jede Analogie zur Menschenwelt fehlt, zu bewegen ist eine schmerzvolle Erfahrung. Ich selbst war noch nie dorthin vorgedrungen, denn dafür sind wirklich ungeheure Kräfte nötig. Nur einmal, nach meinem idiotischen Fehler, als ich dabei ertappt wurde, wie ich den Menschen unerlaubt Energie abzapfte ...
    Ich erinnere mich kaum an das, was damals geschehen ist.
    Sebulon hat mein Bewusstsein ausgeschaltet und mich damit
    gleichzeitig für mein Verhalten bestraft und vor den tiefsten
    Schichten des Zwielichts gerettet. Aber ... manchmal fällt mir
    doch etwas ein. Als ob in der grauen Erinnerungslosigkeit mein Bewusstsein kurz ganz klar aufblitzt...
    Das lässt sich mit einem Traum oder einem Delirium vergleichen. Aber vielleicht habe ich das alles tatsächlich zusammen-phantasiert? Sebulon in seiner Dämonengestalt trägt mich, indem er mich sich über die Schultern gelegt hat. Die beschuppte Hand hält meine Beine gepackt, während mein Kopf über der Erde baumelt, über schillerndem regenbogenfarbigen Sand. Ich blicke auf und sehe einen strahlenden Himmel. Einen Himmel nur aus blendendem Licht. Und große schwarze Sterne, die diesen Himmel sprenkeln.
    Außerdem befinden sich zwischen mir und dem Himmel zwei Torbögen, die sich in enorme Höhe erheben. Matte graue Bögen, die aus Nebel geknetet scheinen ... Obwohl an ihnen nichts Schreckliches ist, packt mich ein Gruseln.
    Und ein Geräusch ist zu hören - ein trockenes unangenehmes Geräusch, das von allen Seiten kommt, als ob die Sandkörner zittern, gegeneinander reiben oder als ob außerhalb des Gesichtsfelds ein Insektenschwarm schwirrt...
    Wahrscheinlich ist das wohl doch ein Delirium.
    Vielleicht kann ich Sebulon jetzt, wo zwischen uns wieder alles im Reinen ist, einmal fragen, was es dort, in den Tiefen des Zwielichts, gibt?
    Der Tag flog dahin, strebte gegen Abend zu. Ich schlichtete einen Streit zwischen Olga und Ljudmila, wir gingen noch einmal an den Strand, und Anja schwamm ihre ersten Meter al-lein. Mit aufgerissenen Augen und indem sie mit den Händen auf das Wasser trommelte und dabei wie wild spritzte - aber sie schwamm...
    Das ist eine Gefängnisstrafe, kein Urlaub! Das ist etwas für die Lichten, denen würde die pädagogische Arbeit gefallen. Als Trost blieb mir nur, dass die Nacht langsam heraufzog. Die Sonne ging schon unter, und selbst die energiegeladenen Kinder wurden langsam müde.
    Nach dem Abendessen aus Fisch, Pfannkuchen und Kartoffeln - wo lassen die das alles nur? - war ich fix und fertig. Jetzt musste ich die Mädchen noch zwei Stunden bis zum zweiten Abendbrot unterhalten (man könnte denken, hier kommen nur Kinder her, die halb verhungert sind), bevor sie endlich schlafen würden.
    Vermutlich verriet mein Gesicht mich.
    Galina, die Leiterin der siebten Gruppe, kam zu mir. Ich hatte sie heute kennen gelernt, vor allem um nicht aus der Rolle zu fallen, weniger aus echtem Interesse. Eine ganze normale Menschenfrau, das perfekte Produkt der Moralpredigten der Lichten, eine gutmütige, ruhige, besonnene Frau. Sie hatte es schwerer als ich: Ihre Gruppe bestand aus zwölf- und dreizehnjährigen Mädchen, was hieß: ewige Verliebtheit, Hysterie, tränenfeuchte Kopfkissen. Trotzdem loderte in Galina der Wunsch, mir zu helfen.
    »Bist du müde?«, fragte sie mich halblaut, während sie lächelnd meine Mädchen betrachtete.
    Ich nickte bloß.
    »Beim ersten Mal ist das immer so«, meinte Galina. »Nachdem ich im letzten Jahr einen Monat hinter mich gebracht hatte, wollte ich nie wieder einen Fuß ins Artek setzen. Danach habe ich begriffen, dass ich ohne das Ferienlager gar nicht mehr leben kann.«
    »Eine echte Droge«, legte ich ihr in den Mund.
    »Ja.« Galina bemerkte meine Ironie nicht einmal. »Alles ist hier bunt, verstehst du? Und die Farben sind hell und leuchtend. Spürst du das noch nicht?«
    Ich lächelte gequält.
    Galina griff nach meiner Hand.
    »Und weißt du was?«, flüsterte sie mit einem geheimnisvollen Blick auf die Mädchen. »Heute wird die vierte Gruppe ein

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