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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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mich mit einem seltsamen Blick. Nein, nicht beleidigt, obwohl sie offenbar absolut im Bilde war und selbst ein Auge auf Igor geworfen hatte. Und auch nicht böse. Eher traurig, wie ein zu Unrecht bestrafter Hund.
    »Natürlich, Alissa«, sagte sie.
    Es ist ein Kreuz mit diesen so genannten guten Menschen.
    Du kannst ihnen ins Gesicht spucken, in die Quere kommen, sie mit Füßen treten - sie ertragen alles.
    Was andererseits natürlich sehr bequem ist.
    Ich ging zum Häuschen der vierten Gruppe. Auf dem Weg dorthin scheuchte ich zwei kleine Jungen aus den Büschen, die Glasscherben über einem Feuerchen aus Plastikbechern schwärzten. Von herausscheuchen konnte im Übrigen eigentlich nicht die Rede sein. Die Jungen blickten finster drein und wappneten sich innerlich, ließen von ihrem Tun aber nicht ab.
    »Morgen bekommen alle spezielle Brillen«, versicherte ich friedfertigen Tones. »An denen hier schneidet ihr euch nur.«
    »Die Spezialbrillen reichen nicht«, gab einer der Jungen zu bedenken. »Wir schwärzen uns selber Glas, die Becher qualmen richtig gut.«
    »Und den Rand bekleben wir mit Leukoplast«, ergänzte sein Freund. »Und fertig!«
    Ich lächelte, nickte ihnen zu und ging weiter. Was die Kinder taten, war gut. Unabhängig, selbstbewusst. Richtig.
    Als ich auf das Sommerhäuschen zuging und bereits die ersten Gitarrenklänge hörte, erblickte ich Makar.
    Der Junge stand an einem Baum, versteckte sich zwar nicht unbedingt, achtete aber darauf, dass er vom Haus her nicht zu sehen war. Er stand einfach da und starrte Igor an, der zwischen seinen Kindern saß. Sobald er meine Schritte hörte, drehte er sich abrupt um, zuckte zusammen ... und blickte zu Boden. Ich verstand alles.
    »Es ist nicht schön, andren nachzuspionieren, Makar.«
    Der Junge stand da und biss sich auf die Lippen. Was er wohl vorgehabt hatte? Hatte er Igor eins auswischen wollen? Ihn zum Duell herausfordern? Oder hatte er einfach in ohnmächtiger Wut die Faust geballt, während er den erwachsenen Mann betrachtete, der in der letzten Nacht Liebe gemacht hatte mit der Frau, die ihm gefiel? Du dummer, dummer Junge ... Du solltest dir eine Altersgenossin suchen, aber nicht unter erwachsenen, betörenden Hexen mit langen Beinen Ausschau halten.
    »Das kommt schon noch, Makar«, meinte ich leise zu ihm. »Sowohl die Mädchen wie auch die Nacht am Meeresstrand und...«
    Er hob den Kopf. Sah mich an - amüsiert und sogar herablassend. Das kommt nicht, sagten seine Augen. Es wird kein Meer geben, keine nackte Frau am wellenumspülten Strand. Alles wird ganz anders werden: billiger Portwein in einem dreckigen kleinen Zimmer eines Wohnheims, ein Mädchen, das sich nach dem zweiten Glas jedem hingeben würde, ein verschwitzter, frühzeitig verwelkter Körper und ein verrauchtes, heiseres Flüstern: »Äh, Alter, spritz woanders ab!«
    Ich wusste das, ich erfahrene, zynische Hexe. Er wusste das, der Zufallsgast im Artek, der kurzfristige Besucher dieses »Territoriums der Freundschaft und Liebe«. Wir brauchten einander nichts vorzumachen.
    »Tut mir leid, Makar«, sagte ich. Zärtlich strich ich ihm über die Wange. »Aber er gefällt mir nun mal sehr. Und du musst erst groß und klug werden, dann wirst du alles haben...«
    Er drehte sich um und rannte weg. Ein fast erwachsener Junge, der keine Minute von seinem kurzen, glücklichen Sommer verlieren wollte, der nachts nicht schlief und sich ein andres, ein glückliches Leben ersann.
    Was konnte ich tun? Die Tagwache braucht keine menschlichen Angestellten. Die Tiermenschen, Vampire und andres Kroppzeug reichen völlig. Natürlich würde ich Makar überprüfen. Aus ihm könnte ein großartiger Dunkler werden. Aber es gab nur sehr, sehr geringe Chancen, dass der Junge die Veranlagung zum Anderen in sich trug...
    Auch bei meinen Mädchen dürfte es sich vermutlich um völlig durchschnittliche Menschen handeln.
    Und ebenso schlecht standen die Chancen, dass Igor sich als Anderer erwies...
    Vielleicht war das ja sogar besser? Wenn er ein Mensch war ... konnten wir zusammen sein. Sebulon würde sich einen Dreck darum scheren, ob seine Freundin einen menschlichen Mann hatte. Aber einen Anderen als Ehemann würde er nicht ertragen ...
    Nachdenklich sah ich zu Boden und ging weiter zum Haus. Igor saß auf der Veranda und stimmte die Gitarre. Neben ihm hockten nur zwei Kinder - der Lagerfeuermeister Aljoschka und ein rundlicher, kränklich wirkender Junge, der meiner Meinung nach nicht beim Lagerfeuer

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