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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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sich im Artek - genau wie ich. Er hatte meine Aura nicht gesehen, nichts hatte ihn auf den Gedanken gebracht, dass vor ihm eine Hexe stand.
    Er hatte sich verliebt. Mit geschlossenen Augen. Genau wie ich.
    Die Welt war grau und dumpf, die kalte Welt des Zwielichts, die uns zu denen macht, die wir sind, die uns Kraft raubt - aber auch hilft, welche zu finden. Eine Welt ohne Geräusche und Farben. Die an den Bäumen erstarrten Blätter, die eingefrorenen Figuren der Kinder, die in der Luft hängende Gitarre - Igor hatte sie aus der Hand gelegt, bevor er ins Zwielicht eingetreten war. Tausende von eisigen Nadeln pikten meine Haut, entzogen mir die gerade gewonnene Energie, wollten mich für immer ins Zwielicht treiben... Aber ich war wieder eine Andere und konnte Kraft aus der mich umgebenden Welt ziehen. Ich streckte mich und schöpfte bis zur Neige alles Dunkle ab, das der dicke Junge hergab. Kraft aufzusaugen bereitete mir nun keine Mühe. Ich achtete gar nicht mehr darauf, was ich wie tat. Alles ging einfach, wie gewohnt.
    Doch das Gleiche tat Igor mit Aljoschka. Vielleicht weniger geschickt - die Lichten zapfen nur sehr selten direkt Kraft ab, sie sind an ihre idiotischen Selbstbeschränkungen gebunden. Trotzdem trank auch er die Freude bis zum letzten Tropfen ... und ich empfand eine widernatürliche Freude für meinen Liebsten, für meinen Feind, für den Lichten, der seine Kraft zurückgewann ...
    »Alissa...«
    »Igor...«
    Es war nicht leicht für ihn. Es war viel schwerer für ihn als für mich. Die Lichten jagen ihr ganzes Leben lang Illusionen nach, hegen beständig falsche Hoffnungen und können einen Schlag nicht ertragen... Doch er schon... und ich auch... ich hielt mich... hielt mich...
    »Wie dumm«, flüsterte er. Schüttelte den Kopf - eine seltsame Geste in diesem nebelhaften Rauch, im Zwielicht... »Du ... du bist eine Hexe...«
    Ich spürte, wie er in mein Bewusstsein drang, nicht sehr tief, nur an der Oberfläche, um sich zu überzeugen ... oder in der Hoffnung, sich zu irren... und ich wehrte mich nicht dagegen. Sondern kam ihm entgegen.
    Und lachte - in unerträglichem Schmerz.
    Südbutowo.
    Edgar, der den Lichten Magiern gegenüberstand.
    Wir versorgten Edgar mit Kraft, die Lichten erhielten Kraft von ihren Magiern aus der zweiten Reihe ...
    Auch von Igor.
    Ich erkannte seine Aura, erinnerte mich an das Kraftprofil. So etwas vergisst man nicht.
    Und auch er erkannte mich ...
    Natürlich kannte ich ihn nicht persönlich, natürlich hatte ich seinen Namen nicht gehört. Weshalb sollte eine einfache Wächterin des Tages sämtliche tausend Mitarbeiter der Moskauer Nachtwache kennen? All die Magier, Zauberer, Zaubermeister, Gestaltwandler... Bei Bedarf bekamen wir konkrete Angaben. So wie damals bei Anton Gorodezki, den wir vor einem halben Jahr auf geheimen Befehl Sebulons verfolgt und ja auch bei einer unerlaubten Handlung erwischt hatten ... An andre erinnert man sich zwangsläufig. Zum Beispiel an Tigerjunges.
    Aber Igor hatte ich nicht gekannt.
    Ein Lichter Magier dritten Grades. Wahrscheinlich war er stärker als ich, obwohl es recht schwierig ist, die Kräfte eines echten Magiers und einer Hexe zu vergleichen.
    Mein Liebster, mein Geliebter, mein Feind...
    Mein Schicksal...
    »Weshalb?«, fragte Igor. »Alissa ... weshalb hast du das ... gemacht?«
    Wie, weshalb?, wollte ich schon schreien. Doch ich brachte kein Wort heraus, weil mir aufging: Er würde mir nicht glauben. Niemals würde er glauben, dass das, was geschehen war, nur ein Zufall war, ein läppischer, tragischer Zufall, dass dahinter keine böse Absicht steckte, dass uns eine unbarmherzige Ironie des Schicksals zusammengeführt hatte - in einem Moment, als wir beide schwach waren, als wir einander nicht erkennen, den Feind nicht zu erspüren vermochten ... in einem Moment, als wir nur eins konnten und wollten: lieben.
    Was soll in dieser Welt eine Frage wie weshalb? Weshalb bin ich eine Dunkle? Weshalb ist er ein Lichter? Schließlich steckte - anfangs - in uns beiden ein wenig sowohl von diesem wie auch von jenem...
    Und nur eine Kette von Zufällen hatte dazu geführt, dass wir die wurden, die wir jetzt waren...
    Igor hätte auch mein Freund werden können, mein Kollege, ein Dunkler...
    Und ich hätte ... vermutlich ... auch eine Lichte werden können. Dann hätte mich nicht eine weise Hexe ausgebildet, sondern eine weise Zauberin ... und ich hätte es meinem Feind nicht mit gleicher Münze heimgezahlt, sondern ihm geifernd den

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