Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
Vom Netzwerk:
»richtigen Weg« gewiesen ... die andre Wange hingehalten... und mich an eloquentem Schwachsinn ergötzt...
    Mir wurde erst bewusst, dass ich weinte, als sich die Welt um mich herum zu drehen begann. Man darf im Zwielicht nicht weinen - das ist allgemein bekannt. Das Zwielicht trinkt unsere Kraft umso gieriger, je mehr Gefühle wir zulassen.
    Und im Zwielicht die Kraft zu verlieren heißt, für immer dort zu bleiben.
    Ich versuchte, weitere Kraft aus meinem Spender zu saugen, dem dicken Jungen, doch er war bereits leer. Ich streckte die Hand nach Aljoschka aus, aber der stellte sich als absolut neutral heraus, ausgepresst von Igor. Und aus Igor konnte und wollte ich keine Energie ziehen. Alle andern jedoch waren zu weit weg, und die Welt drehte sich... wie dämlich...
    Die Erde riss mich auf die Knie - ich verschwendete sogar noch einen dummen Gedanken daran, dass ich mir den Rock einsauen würde, obwohl Zwielicht-Schmutz nicht in unserer realen Welt zurückbleibt.
    Im nächsten Moment feuerte Igor einen Energiestoß in mich.
    Nein, nicht um mir den Rest zu geben. Sondern um mir zu helfen.
    Es war eine fremde, es war lichte Kraft. Allerdings durch ihn gefiltert. Um sie mir zu geben.
    Und Kraft bleibt Kraft.
    Ich erhob mich, atmete schwer, ausgelaugt, genau wie in jener Nacht, der Nacht unserer wahnsinnigen, unmöglichen Liebe. Igor half mir, mich im Zwielicht zu halten, reichte mir aber nicht Hand.
    Er weinte jetzt, genau wie ich. Ihm ging es genauso schlecht.
    »Wie konntest du nur...«, flüsterte er.
    »Das war ein Zufall, Igor!« Ich machte einen Schritt auf ihn zu, streckte die Hände aus, als ob noch Hoffnung bestünde. »Igor, das war ein Zufall!«
    Er wich vor mir zurück wie vor einer Aussätzigen. Mit der leichten, geschmeidigen Bewegung eines Magiers, der daran gewöhnt ist, im Zwielicht zu arbeiten.
    Im Zwielicht zu kämpfen. Im Zwielicht zu töten.
    »Solche Zufälle gibt es nicht«, spie er förmlich. »Du ... du bist ein dreckiges Miststück... du... Hexe ...«
    Er hielt inne und saugte die Spuren verbliebener Magie auf.
    »Von Kindern Kraft zu nehmen!«
    Jetzt reichte es mir. »Und du? Warum bist du hier, Lichter?« Meine Zunge wollte mir nicht gehorchen, es war unmöglich, widersinnig, ihn so zu nennen, aber er war nun mal ein Lichter - und die Beschimpfung somit einfach nur eine zutreffende Bezeichnung. »Was machst du denn hier? Tust du dich etwa nicht an kleinen Menschenkindern gütlich?«
    »Das Licht kann man nicht rauben.« Er schüttelte den Kopf. »Das, was wir uns nehmen, geben wir hundertfach zurück. Aber du raubst das Dunkel - und das Dunkel wächst. Ich nehme Licht - und es entsteht von neuem.«
    »Sag das mal dem kleinen Aljoschka, der den ganzen Abend über bedrückt sein wird!«, schrie ich. »Erklär ihm mal, dass er nachher schon wieder fröhlich wird!«
    »Ich habe andres zu tun, Hexe! Ich muss die Kinder retten, die du ins Dunkel treibst!«
    »Du musst etwas unternehmen, damit er wieder fröhlich wird«, sagte ich gleichgültig. Die ganze Welt schien sich mit eisigem Schorf zu überziehen. »Das ist deine Arbeit ... mein Lieber!«
    Was tat ich da?
    Er glaubte sowieso schon, ich hätte alles gewusst, die Tagwache hätte eine infame Operation geplant, er sei übel verarscht worden und alles, was es zwischen uns gegeben hatte, sei bloß abgekartetes Spiel gewesen...
    »Du Hexe«, zischte Igor abfällig. »Sieh zu, dass du von hier verschwindest. Klar?«
    Mit Vergnügen, hätte ich beinah geantwortet. Schließlich ... wie sollte ich mich noch an diesem Sommer freuen können, am Meer und am Überschuss an Kraft? Ich erholte mich langsam wieder - das Wichtigste war schon vollbracht.
    »Hau doch selbst ab«, entgegnete ich. »Mir ist sowohl der Aufenthalt hier wie auch die Aufnahme menschlicher Kraft gestattet worden. Du kannst deine Leute danach fragen... Hast du denn auch eine Erlaubnis... mein Lieber?«
    Was sagst du jetzt, du Idiot? Was machst du jetzt, mein Liebster? Was mache ich?
    Was soll ich schon machen? Ich bin eine Dunkle. Eine Hexe. Die menschliche Moral interessiert mich nicht, aber ich habe auch nicht die Absicht, mit diesen primitiven Organismen, die sich Menschen nennen, zu spielen. Ich bin hierher gekommen, um mich zu erholen, und das werde ich auch tun! Und du? Was willst du jetzt machen? Wenn du mich wirklich liebst? Und das tust du, das weiß ich! Ich kann es jetzt sogar sehen, und auch du kannst es sehen... wenn du willst...
    Denn die Liebe steht über dem Dunkel

Weitere Kostenlose Bücher