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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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wirken. Dann brauchte ich nur auf meine Stimme zu achten. Ein schwaches Licht im Fenster - das machte nichts.
    »Und dann teilten sie sich in Lichte und Dunkle«, erzählte ich. »Und die Lichten glaubten, man müsse sein Leben geben, um sich in Stücke reißen zu lassen. Das Wichtigste war zu geben, selbst wenn diejenigen, die nahmen, es nicht verdienten. Und die Dunklen glaubten, man müsse einfach leben, mehr nicht. Und jeder kriegt im Leben das, was er verdient, aber mehr nicht.«
    Sie schwiegen, meine dummen Mädchen... Menschenkinder, unter denen es nicht eine Andere gab. Weder eine Dunkle noch eine Lichte. Keine Zauberin, keine Hexe, noch nicht mal eine Vampirin...
    »Gute Nacht, Mädchen«, sagte ich. »Träumt was Schönes oder noch besser: Träumt gar nichts...«
    »Gute Nacht, Alissa.«
    So viele Stimmen. Einfach erstaunlich. Dabei ist das kein Märchen, sondern eine Legende, die jeder Andere kennt. Sowohl die Dunklen als auch die Lichten. Aber sie waren nicht eingeschlafen ..., sondern hatten zugehört.
    Ich war bereits an der Tür, als Natascha eine Frage stellte. »Und die Sonnenfinsternis... muss man da Angst haben?«
    »Nein«, erwiderte ich. »Da muss man keine Angst haben. Es ist nur ein bisschen traurig.«
    In meinem Zimmer holte ich noch mal das Handy heraus. Wählte Sebulons Nummer.
    »Der gewünschte Gesprächspartner ist zur Zeit nicht zu erreichen...«
    Wo steckst du, Sebulon? Wenn dein viel gepriesenes >Iridium< nicht reagiert? Wo bist du? Wo?
    Ich liebe dich nicht, Sebulon. Vermutlich habe ich noch nie jemanden geliebt. Offensichtlich habe ich erst jetzt verstanden, was das ist: Liebe. Aber du liebst mich doch! Wir waren doch zusammen, uns ging es gut miteinander, du hast mir diese ganze Welt geschenkt... und Schlittschuhe als Dreingabe... jetzt antworte! Du bist mein Vorgesetzter, mein Lehrer, mein Liebhaber- also sag mir, was ich jetzt tun soll. Wenn ich mit meinem Feind allein bin ... mit meinem Geliebten. Wegrennen? Kämpfen? Sterben? Was soll ich tun, Sebulon?
    Ich trat ins Zwielicht.
    Die Schatten der Träume von den Kindern wogten um mich herum. Ein Gelage! Energieströme! Sowohl lichte als auch dunkle. Angst und Traurigkeit, Sehnsucht und Verletzung. Ich konnte durch den gesamten Komplex Lasurny hindurchsehen. Dort drüben schmollte der kleine Dimka, dem seine Freunde nichts von ihrer Limo abgaben. Der kleinen unermüdlichen Irotschka mit dem Spitznamen Energizer hatte jemand den aufblasbaren Schwimmring geklaut, und sie heulte leise in ihr Kopfkissen ... Meine treue Energiespenderin Nataschka hatte in den seltsamen dunklen Gassen des Traums ihren kleinen Bruder verloren und suchte ihn jetzt wie wild und weinte...
    Ich wollte keine Kraft sammeln. Ich wollte mich nicht auf den Kampf vorbereiten. Ich wollte gar nichts.
    »Sebulon!«, schrie ich im wogenden grauen Dunst. »Ich rufe dich! Sebulon...«
    Keine Antwort.
    Tante Polly hatte weniger Schwierigkeiten, Tom Sawyer herbeizurufen, der mit den Fingern in einem Glas Marmelade zugange war, als ich Sebulon...
    »Sebulon...«, wiederholte ich.
    So hatte ich mir diese Nacht nicht vorgestellt ... ganz bestimmt nicht.
    Igor... Igor...
    Was tust du jetzt? Hortest du Kraft? Berätst du dich mit dem oberschlauen Geser? Oder sitzt du einfach da und schaust blöde in den Spiegel - so wie ich jetzt...
    Spieglein, Spieglein ... Vielleicht sollte ich es mit Wahrsagen versuchen?
    Ich bin nicht gut im Wahrsagen, aber manchmal gelingt es mir, in die Zukunft zu blicken...
    Nein.
    Ich will nicht.
    Ich weiß, dass mich nichts Gutes erwartet. Sie kamen an den Strand, als die Sonnenfinsternis schon begonnen hatte.
    Meine Mädchen kreischten und rissen sich gegenseitig die Sonnenbrillen aus den Händen. Sie verstanden nicht, warum ich nicht um die Brille bat. Diese Mädchen... Was sollte mir das blendende Sonnenlicht schon anhaben? Ich kann mit bloßen Augen in die untergehende Sonne blicken.
    Um Igor sprangen die Jungen der vierten Gruppe herum, die ihn zur Eile antrieben. Sie verstanden nicht, warum ihr geliebter Erzieher nicht schneller lief. Sie verstanden nicht, warum er sie auf einem so langen und gewundenen Weg an den Strand brachte.
    Ich verstand es.
    Denn ich sah durchs Zwielicht die blassen Funken der abgezapften Kraft.
    Was machst du bloß, Igor... mein geliebter Feind...
    Bei jedem Schritt erlosch auf einem der Gesichter ein Lächeln. Schon hörte wieder ein quirliger zehnjähriger Raufbold auf, den Waffenstillstand mit seinem Freund zu

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