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2 - Wächter des Tages

2 - Wächter des Tages

Titel: 2 - Wächter des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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muss man keine Angst haben. Sonnenfinsternis heißt nur, dass etwas das Licht verdeckt. Das Meer erwies sich als unnatürlich warm. Vielleicht weil die Luft abgekühlt war wie sonst nur am Abend? Von der Sonne war nur eine schmale Sichel am oberen Rand der Scheibe geblieben. Sogar ein Mensch konnte jetzt mit bloßem Auge zu ihr hinaufsehen.
    Ich schwamm durch das warme Wasser, ohne ans Ufer zu sehen, wo niemand merkte, wie ein Erzieher und eine Erzieherin ins Meer gingen, ohne auf die Quallen zu achten, die uns eilig den Weg räumten.
    Mir fiel mein erster Urlaub am Meer ein. Damals war ich noch ein kleines Mädchen, das nicht wusste, dass es nicht zur Rasse der Menschen gehörte, sondern dass es sein Schicksal sein sollte, eine Andere zu werden. Mein Vater und ich waren nach Aluschta gekommen, er brachte mir das Schwimmen bei... ich erinnerte mich genau an meine Begeisterung, als das Wasser sich mir das erste Mal ergab...
    Und ich erinnerte mich genau an die Wellen. Sehr starke Wellen. Oder wirkten damals alle Wellen auf mich so riesig? Mein Vater trug mich auf dem Arm und sprang fröhlich durch die Wellen, Schaum umspülte uns, und es ging uns prächtig, wir hatten so viel Spaß ... Ich schrie, dass ich das Meer durchschwimmen könne, und mein Vater antwortete mir, aber sicher, ganz bestimmt...
    Jetzt wirst du sehr leiden, Papa.
    Und auch für Mama wird es kein Zuckerschlecken.
    Das Ufer lag weit hinter mir, jenes Ufer voller begeisterter Kinder und zufriedener Erwachsener, jenes wahrhaft fröhliche und zufriedene Ufer. Ich spürte nicht einmal auf Anhieb, wie die »Presse« einsetzte. Es schwamm sich einfach nicht mehr so leicht. Das Wasser trug mich nicht mehr. Etwas legte sich mir auf die Schultern.
    Ein absolut simpler Zauber. Ohne jede Raffinesse. Kraft gegen Kraft.
    Papa, ich habe wirklich geglaubt, ich könne das Meer durchschwimmen ...
    Ich spannte einen Verteidigungsschirm über mich und nahm die unsichtbare Last von meinen Schultern. Und erneut flüsterte ich etwas, zum x-ten Mal. »Sebulon, ich rufe dich...«
    Die Kräfte, die ich hatte sammeln können, schmolzen rasch dahin. Igor schlug auf mich ein, durchbrach erbarmungslos meinen Schutz.
    Ja, Alissa!
    Endlich antwortete er! Reagierte! Rechtzeitig, wie immer!
    »Sebulon, ich bin am Ende.«
    Ich wusste es. Es tut mir sehr leid.
    Ich begriff nicht sofort, was er mit diesem kalten Ich wusste es meinte. Auch der gleichgültige Ton und das ausbleibende Gefühl von Kraft ... denn er teilte seine Kraft stets mit mir, selbst wenn ich sie nicht so dringend brauchte...
    »Sebulon, sterbe ich?«
    Ich bedauere es.
    Mein Verteidigungsschirm schmolz, und immer noch begriff ich nicht, was hier passierte.
    Er könnte doch intervenieren! Selbst über die Entfernung! Ein Teil seiner Kräfte würde ausreichen, damit ich diese Attacke überstand und das Duell mit einem Remis beendete!
    »Sebulon, du hast gesagt, die Liebe sei eine große Kraft!«
    Hast du dich wirklich nicht davon überzeugen können? Leb wohl, meine Kleine.
    Erst jetzt begriff ich alles.
    Während gleichzeitig meine Kräfte schwanden und die unsichtbare »Presse« mich erneut niederdrückte, mich in die warme, dämmrige Tiefe stieß.
    »Igor!«, schrie ich, doch eine aufstiebende Welle erstickte meine Stimme.
    Er schwamm fünfzig Meter von mir entfernt. Schaute nicht mal in meine Richtung. Er weinte, doch das Meer ist kein Ort für Tränen.
    Und es zog mich, zog mich weiter und weiter in die dunkle Tiefe.
    Nein... nicht...
    Ich versuchte, mir vom Ufer Kraft zu holen. Aber dort gab es kaum etwas Dunkles, das ich hätte aufnehmen können. Nur süße Begeisterung und fröhliches Geschrei - das half mir nicht.
    Hundert Meter hinter Igor und mir versuchte jedoch ein Teenager vergeblich, ruhig auf den Wellen zu liegen und sein verkrampftes Bein zu entspannen. Ein Junge, der sich glücklos in mich verliebt und belauert hatte, wie Igor und ich im Wasser verschwanden, um uns dann hinterherzuschwimmen. Ein stolzer Junge mit dem komischen Namen Makar, dem bereits klar war, dass er es nicht schaffen würde, zum Strand zurückzuschwimmen.
    Die Liebe ist eine große Kraft. Was seid ihr Jungen doch dumm, wenn ihr euch verliebt...
    Das galt sowohl für den in zunehmender Panik zappelnden Makar ... Ich könnte mir seine Angst nehmen und meinen Todeskampf damit um ein paar Minuten verlängern...
    Wie auch für den mit gleichmäßigen Zügen schwimmenden Igor, der nichts sah, nichts hörte, nichts spürte von dem, was um

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