20 Science Fiction Stories
das Gesetz.«
»Das stimmt.«
»Wenn ich einen von euch töte, muß der andere auch sterben. Und auch euer Volk, denn die Herden werden nicht länger existieren können, weil das Moos verdorren wird.«
Eisenstein hielt den Atem an. Er hatte nie erlebt, daß sich Marsbewohner gegenseitig bedrohten.
Trotz der ruhigen Stimmen war die Atmosphäre gespannt. Die Asa bewegten sich nicht, und das verlieh der ganzen Szene etwas Unheilvolles; hätten sie durcheinander geredet oder Verwünschungen ausgestoßen, dann hätte er sich wohler gefühlt. Aber niemand gab ein Wort von sich, nichts war zu hören als das Atmen von etwa fünfzig Menschen.
»Der Mann Jackson war mein … Freund«, sagte Lucy. »Und es heißt: ›Tue alles für deinen Freund.‹ Wo ist er?«
»Das wissen wir nicht. Aber wir nehmen an, daß er inzwischen tot ist –« Der Häuptling, der diese Worte gesprochen hatte, blickte zur Sonne auf. »Wenn sie ihn verschont hätten, wäre er schon zurück. Wer kann sagen, wohin ein Mann geht, wenn er tot ist?«
»Dann«, fuhr Lucy mit eisiger Stimme fort, »werde ich euch töten.«
Die Häuptlinge musterten sie, ohne eine Miene zu verziehen: »Das kann sein. Aber dann wirst auch du sterben. Denn das Gesetz sagt, daß derjenige, der die Herden oder das Moos verletzt, sterben muß. Und wenn du einen von uns tötest, machst du dich dieses Vergehens schuldig.«
»Ja«, erwiderte Lucy. »Aber es heißt auch: ›Gib selbst dein Leben für deinen Freund hin!‹«
Ihre Stimme schwankte leicht. Die Waffe in ihrer Hand zitterte. Eisenstein holte tief Luft und sprang. Wie viele dicke Männer war er schneller, als man erwartete, und er landete auf Lucy wie ein Meteorit. Er schlang einen Arm um sie und hielt sie wie in einem Schraubstock. »Loslassen!« schrie sie. Der Schuß ging los, aber in die Luft. Ein Geruch von Ozon verbreitete sich. Lucy kämpfte wie wild, aber Eisenstein ließ nicht locker, und schließlich fiel die Waffe zu Boden.
Im selben Augenblick hörten sie die Stimme. »He! Wartet! Hallo!« Eisenstein ließ sie los. Vorsichtshalber hob er die Automatik auf und steckte sie in die Tasche. Dann half er Lucy auf die Beine. »Tut mir leid«, murmelte er.
Lucy blickte ihn nicht an. Auf dem Hügel hinter dem Dorf erschien Leonard. Er war zerkratzt und schmutzig, aber anscheinend nicht verletzt. Die Leute machten ihm Platz. Ein gedämpftes Murmeln breitete sich aus; viele von ihnen lächelten, andere stießen zum Zeichen der Zustimmung die Fäuste aneinander. Auch die Häuptlinge lächelten. Leonard warf Eisenstein einen schnellen Blick zu und sah dann Lucy an.
»Es tut mir leid«, sagte er und grinste verlegen. »Ich wollte Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen. Aber es hat sich gelohnt.«
Lucy weinte nicht, wie es vielleicht ein Mädchen von der Erde getan hätte, auch ließ sie sich keine Erleichterung anmerken. »Ich bin sehr froh darüber«, sagte sie nur.
»Die Widgits haben Ihnen nichts getan?« begann Eisenstein, »ich –«
»Ich werde es Ihnen später erklären. Entschuldigen Sie mich.« Leonard wandte sich zu den beiden Brüdern. In abscheulichem Asa-Dialekt sagte er: »Ardzil-le ur ghaurna tve. Stimmt doch, oder?« Die Häuptlinge legten die Fäuste aneinander.
»Kommen Sie«, forderte Leonard Eisenstein auf. »Ich muß einen Bericht schreiben.«
»Bei den Feierlichkeiten fand ich absolut keinen Hinweis«, sagte er später, als sie in Eisensteins Büro bei einer Tasse Kaffee saßen. »Ich werde Ihnen noch ausführlich darüber berichten – jedenfalls, soweit ich das kann.«
»Wie sind Sie hineingekommen?« fragte Eisenstein.
»Wissen Sie, wir haben doch letzte Woche jeden Tag das Dorf besucht. Ich merkte mir, wie die Frauen sich kleideten, mit Umhängen und Kapuzen, so daß fast nichts von ihnen zu sehen war. Ich machte mir eine ähnliche Ausstattung und zog sie an. Als ich erst einmal im Dorf war, fiel es mir nicht schwer, den Ort der Feierlichkeiten ausfindig zu machen. Der Gesang scholl durch die Rauchlöcher.
Aber es dauerte nicht lange. Sie entdeckten mich fast sofort und übergaben mich den Häuptlingen. Der eine sagte diesen Satz zu mir – Sie wissen schon, den Sie mir an jenem Abend sagten, als Lucy und ich zum erstenmal im Dorf waren. Er wiederholte ihn dreimal, und ich nahm an, daß sie nichts gegen mich hätten, sondern mich nur bestraften, weil ich gegen das Gesetz verstoßen hatte.
Bis zum Morgengrauen sperrten sie mich in eine Kammer. Dann brachten sie mich hinaus in die
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