20.000 Meilen unter den Meeren
füllen.«
»Ah so. Gut, Professor. Ich sehe, Sie leben sich in die Materie ein«, antwortete Nemo ironisch. »Ich wollte Ihnen nur im Voraus sagen, welche Gefahren uns erwarten, damit Sie mich nicht unüberlegt heißen, wenn wir bereits getaucht sind. Es gibt da nämlich noch einen Punkt …«
»Immer heraus damit!«
»Nehmen Sie mal an, der Südpol liegt im Meer. Das wäre dann gefroren und wir könnten nicht wieder an die Oberfläche.«
»Was? Können Sie mit Ihrem Rammsporn denn diese lächerliche Eisdecke nicht zertrümmern, wenn Sie schräg aufwärts fahren?«
»Ihre Darlegungen überzeugen mich, Professor. Wir können die Fahrt wagen.«
Er spottete zu Recht, denn mich hatte der Entdeckereifer stärker gepackt als je zuvor. Ich glühte, und während er dem Ersten Offizier in ihrer unverständlichen Sprache seine Befehle gab, suchte ich Conseil und den Kanadier auf, um sie über die bevorstehende Großtat zu informieren.
»Conseil, wir fahren zum Südpol!«
»Wie es Monsieur beliebt«, antwortete mein Diener lahm. Offensichtlich hatte die Kälte sein Phlegma noch um ein gutes Stück verstärkt.
»Monsieur, Sie tun mir leid«, sagte der Kanadier langsam. »Samt Ihrem Kapitän. Vielleicht kommen Sie zum Pol. Aber zurückkehren werden Sie nicht. Ich glaube, ich zieh mich lieber in meine Kabine zurück, bevor es an Bord ein Unglück gibt.«
Das kühlte mich etwas ab und ich sah am Nachmittag nachdenklich den zehn Leuten zu, die um die Nautilus herum das Eis mit Beilen und Pickeln aufbrachen. Das Wetter war hell und klar, die Atmosphäre besaß eine reine Kälte von 12° unter null, was aber bei der herrschenden Windstille nicht unangenehm war. Um 16 Uhr musste ich hinabsteigen, die Luke wurde geschlossen, die Tauchbehälter füllten sich, die Nautilus sank.
Wir blieben unter Wasser auf dem 52. Meridian und nahmen Kurs direkt auf den Pol, von dem wir in diesem Augenblick 2 000 km entfernt waren. Mit unserer Geschwindigkeit von 26 kn konnten wir ihn in knapp 48 Stunden erreichen.
Am 19. März begann die Nautilus , vorsichtig zu steigen, um zu prüfen, wann die Eisdecke zu Ende war. Conseil und ich saßen vor den Fenstern des Salons, aber das vom Scheinwerfer erhellte Meer war leer. Wir spürten fortwährend die kleinen Stöße, mit der die Plattform an den Eismassen über uns kratzte. Bis zum Abend fanden wir immer noch 400 m zu unsern Häuptern und in dieser Nacht schlief ich unruhig, denn die Luft wurde langsam schlecht. Wir mussten sie erneuern oder unsere Vorräte aus den Behältern anbrechen. Ich wachte mehrere Male auf und bekam bei einem nervösen Rundgang gegen drei Uhr nachts mit, dass wir nur noch 50 m Eis über uns hatten. Da blieb ich am Manometer und erlebte mit, wie die Eisdecke von Meile zu Meile dünner wurde; und gegen sechs Uhr morgens trat Nemo in den Salon.
»Das offene Meer, Monsieur!«, sagte er.
Ich stürzte sofort zur Plattform hoch: ja da! Auf der weiten Meeresfläche trieben kaum noch Eisblöcke, Tausende von Vögeln kreuzten über die wechselnd tiefblauen und olivgrünen Gewässer, hier wimmelte es von Fischen und das Thermometer zeigte einen Frühling von 3° über null.
»Sind wir am Pol?«, fragte ich Nemo.
»Weiß ich nicht. Ich muss erst unseren Standort aufnehmen.«
»Die Sonne werden Sie durch diesen Nebelvorhang kaum zu sehen bekommen.«
»Der geringste Deut langt mir zur Aufnahme des Stundenwinkels.«
10 sm südlich ragte eine Insel etwa 200 m hoch aus dem Meer auf, auf sie hielten wir zu, allerdings sehr langsam, da wir nicht wussten, ob das Meer von Klippen durchzogen war. Zwei Stunden später wussten wir, dass ihr Umfang etwa 5 sm betrug. Ein Kanal von geringer Breite trennte sie von einer weiteren Landmasse – vielleicht dem Festland der Antarktis? Wir hielten und ließen das Boot ins Wasser. Zwei Matrosen luden Instrumente ein, Nemo winkte Conseil und mir, dann setzten wir zu fünft zur Küste über. Ned Land blieb in seiner Kabine.
Um zehn Uhr legten wir an. Conseil wollte hinausspringen, aber ich hielt ihn zurück.
»Kapitän, Ihnen gebührt die Ehre, dieses Land als Erster zu betreten.«
»Ja. Und ich setze meinen Fuß auf den Boden dieses Südpolarlandes mit dem vollen Bewusstsein, es als Erster zu tun.«
Er sprang hinaus, stieg auf die Spitze einer prachtvollen Felsengruppe am Ufer, kreuzte die Arme auf der Brust und stand lange dort, glühend und stark, wie eine Morgensonne, die aus dunklen Bergen kommt, und nahm von diesem Land Besitz. Nach fünf
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