2004 - Im Bann der NACHT
nicht erwischen. Wir sind viel zu klein dafür und geben zuwenig Energie ab. Und weißt du, was ich glaube? Die Spukgeschichten sind doch nicht nur Aberglaube, sondern von den Eunuchen erfunden worden, um Abenteurer abzuschrecken."
„Warum hätten sie das tun sollen?"
„Vielleicht weil es auf der Säule der Nacht irgend etwas gibt, das nicht jeder zu sehen bekommen soll.
Und jetzt sei wieder still und konzentriere dich auf den Flug."
Yessim schwieg. Sie gingen kurz auf Überlicht und kamen nahe der Finstergrenze wieder in den Normalraum zurück. Dann wendeten sie und nahmen Kurs auf die Säule der Nacht.
„Die Finstergrenze mit ihren energetischen Ausstrahlungen verhindert jegliche Ortung, falls uns doch jemand beobachtet hat", beruhigte Crom seinen Freund. „Jetzt gibt es uns nicht mehr. Der kurze Überlichtflug zur Säule wird ebenfalls nicht registriert werden."
Yessim antwortete nicht. Er wußte, daß Crom ihn nur beruhigen wollte.
Dann flogen sie los, auf die ferne Säule zu. Die Überlichtetappe brachte sie bis auf etwa zehntausend Kilometer an sie heran. Mit hoher Geschwindigkeit, aber ohne zusätzliche Beschleunigung rasten sie dem riesigen Etwas entgegen, das einsam in der NACHT stand.
Sie hatten im Unterricht Holos von der Säule gesehen. Doch das war nicht dasselbe wie die Realität.
Die Säule der Nacht stand wie ein gewaltiger Pilz vor ihnen, 104 Kilometer hoch und 23 Kilometer breit.
Diese und mehr Daten kannten sie natürlich auch aus den Schulungen. Und der Vergleich mit einem Pilz war nicht so abwegig: Pilze wurden in Nacht-Acht 3 gezüchtet und galten unter den Mom'Serimern als Delikatesse.
Die beiden unteren Drittel des Pilzes bestanden aus einem schwarzen, matten Material ohne Erhebungen. Dann folgte eine Art Balkon, der sich rings um die gesamte Säule zog. Auf dem Balkon standen einige Gebäude. Das obere Drittel des Pilzes war aus einem silbrigen Material gefertigt, und die Pilzkrempe war sogar 33 Kilometer breit.
„Bei den Geistern der NACHT!" staunte Yessim. „So etwas Gewaltiges! Und sieh da, die Stadt! Port Emaranve!"
Jetzt hatte auch ihn ein zaghaftes Entdeckerfieber gepackt. Crom hatte die Stadt längst bemerkt, die fast den gesamten oberen Teil des Hutes bedeckte. Die Stadt, von den Indoktrinatos als Port Emaranve bezeichnet, machte einen absolut fremdartigen Eindruck. Sie bestand aus bis zu hundert Meter hohen, schlank und steil in die Luft ragenden Gebäuden.
„Gegenschub geben!" sagte Crom.
Er spürte, daß von der Säule der Nacht etwas Besonderes ausging, aber das konnte auch Einbildung sein, zurückzuführen auf die Schauergeschichten der Erwachsenen und das strikte Anflugverbot.
Jedenfalls fühlte er sich trotz der immensen Größe des Objekts nicht bedroht. Nichts geschah. Kein Energiestrahl schoß aus der Säule, kein Wächter funkte eine Warnung, und von Ungeheuern war erwartungsgemäß auch nichts zu sehen. Er hatte recht gehabt. Es war in Aberglauben verpackte Abschreckung.
„Wir landen!" kündigte Crom an.
„Was? Bist du verrückt geworden? Wo willst du landen?"
„Bei der Stadt. Ich will mich in ihr umsehen."
„Crom, was machst du mit mir? Du weißt doch, daß ich jetzt nicht mehr zurückkann."
„Dann wartest du hier. Ich beeile mich."
„Du weißt genau, daß ich mit dir gehe!"
„Dann tu, was ich sage. Gegenschub, um unsere Geschwindigkeit aufzufangen!"
Yessim gehorchte seufzend. Mittlerweile waren sie bis auf tausend Kilometer an die Säule heran, die sich vor ihnen aufzublähen schien. Crom steuerte sein Jetboot nach oben, zum Hut und zur Stadt hin, und verringerte die Geschwindigkeit so, daß sie gerade noch ausreichte, um ihn und Yessim sicher landen zu lassen. Es dauerte noch eine geraume Zeit, bis sie über dem Hut waren. Er füllte optisch die halbe NACHT aus. Dann sanken sie hinab und landeten am Rande der Stadt.
Croms Herz schlug nun doch schneller. Er löste sich aus dem Liegegestell und betrat den Boden der Stadt. Sein Jetboot verankerte er mit dessen Vakuumfüßen neben sich. Yessim folgte seinem Beispiel.
Ihre Magnetstiefel hielten sie fest auf dem metallischen Boden.
Diesmal trugen sie flugfähige Schutzanzüge. Crom legte die Hand auf die Schulter des anderen und sagte ihm ein paar aufmunternde Worte. Dann drehte er sich um und hob ab.
Er flog auf die hohen Gebäude zu, und bald war er zwischen ihnen. Yessim folgte ihm. Crom und er flogen durch schmale und leere Straßenschluchten. Die Fenster der Hochhäuser waren
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