201 - Die Rachegöttin
hatte versorgen können. »Schafft ihn in mein Zelt! Sofort! Kocht Jerab-Sud!«
Die beiden Fremden wurden misstrauisch beäugt. Ein Mann in einem grüngoldenen Umhang trat vor. Er war schlank, athletisch gebaut. Unter dem dichten schwarzen Haar saßen zwei ausdruckslose hellblaue Augen. Er strich sich nachdenklich über das rasierte Kinn, während er Matt und Rulfan musterte.
»Hast du Gefangene gemacht, Hantaa Airin?«
Airin trat vor. »Sie haben uns im Paak geholfen, als wir angegriffen wurden. Sie sind freiwillig hier. Ich werde sie zu Marii führen.«
Die hellblauen Augen verengten sich besorgt. »Es gab Kämpfe?« Er wies auf ihre Wade. »Du wurdest verletzt.«
»Es steht dir nicht zu, mich darauf anzusprechen.« Airin klang wütend.
»Solange Marii nicht zugegen ist, hast du mich als ihren Stellvertreter zu akzeptieren.« Die dunkle Stimme des Mannes war ruhig. Ein wenig zu ruhig, wie Rulfan fand. Er beobachtete den Fremden genau. Es war schwer zu sagen, welches seiner Gefühle echt, und welches gespielt war.
Der Mann fuhr freundlich fort: »Airin, du wirst in Elinas Lager gehen und dich anständig versorgen lassen. Ich bringe die Fremden zu Marii. – Ich befehle es dir als dein Anführer.«
Rulfan konnte den Zorn in Airins Gesichtszügen sehen.
»Wie du willst, Kiras.« Sie stapfte mit bewusst festen Schritten ins Innere des Lagers.
Der Fremde trat auf Matt und Rulfan zu. »Mein Name ist Kiras. Verzeiht Airin; sie ist unbeherrscht und gehört einer Familie an, bei der die Strahlung schlimmer wirkte als bei anderen.«
»Ihr wisst von der CF-Strahlung?« Rulfan war überrascht.
Auch Matt runzelte die Stirn.
»Diesen Namen kenne ich nicht. In unseren heiligen Archiven gibt es Aufzeichnungen über die Verstrahlung, Studien über den Rückgang eines bestimmten Wertes…« Er unterbrach sich lächelnd, als hätte er einen Fehler gemacht.
Auch das erschien Rulfan wie Kalkül. Er konnte das glatte Gesicht des Mannes einfach nicht durchschauen.
»Wie sind eure Namen? Ich nehme an, ihr seid die Besitzer des Flugwagens?«
Matt sprang ein und stellte sie beide vor. »Ja, wir kamen mit dem Flugwagen. Aber wir sind nicht bereit, unsere Waffen zur Verfügung zu stellen, ohne mehr über euren Krieg mit den Adoors zu wissen.«
Kiras wirkte zufrieden. »Das ist weise. Ich bin ein Gegner des Krieges. Leider hört hier niemand auf mich. Ich denke, es wäre besser für euch, wenn ihr bald wieder von hier verschwindet und euren Flugwagen mitnehmt.«
Rulfan bemerkte Matts zweifelndes Gesicht. Er verstand die Gefühle des Freundes. Kiras war eine Spur zu besorgt um ihr Wohlergehen.
»Wir würden gerne mit eurer Anführerin Marii sprechen«, erklärte Matt.
»Gerne. Ich nenne sie für gewöhnlich ›Mutter‹. Ich werde euch zu ihr führen.« Er ging voran.
***
Aus den Aufzeichnungen der Uneskaa Marii, 487 Jahre nach der Verdunkelung
Der Vollmond stand noch am Himmel. Die Wolkenfetzen gaben ihn frei. Vor meinen Augen verschwamm der schmale Pfad zwischen den Akazien. Mich schreckten die Giftschlangen nicht, die auf ihm lagen. Die Krieger hatten versucht mich aufzuhalten, aber ich war wie besessen. Ich rannte durch die Dunkelheit, hin zu dem Opferplatz. Alleine. Niemand hatte gedacht, dass sie ausgerechnet Perdor erwischen könnten.
Auch ich nicht. Nicht meinen Perdor. Stark wie das Meer, das gegen das Land brandet. Klug wie der Wind, der sich in jede Richtung wenden kann. Nicht ihn.
Ich schrie wie eine Verrückte. Der Wahnsinn kam über mich. Ich wusste, was ich finden würde, noch lange bevor ich das silbrige Moos neben der Statue erreichte. Den mächtigen Baum mit den tief reichenden Ästen. Dort sah ich ihn hängen.
Kopfüber, die großen Augen leer und gebrochen, das Gesicht milde überrascht, als könne er den eigenen Tod noch nicht fassen.
Erst in der Nacht davor hatten wir einander geliebt, warm umschlungen in Dingoofellen, während draußen vor der Hütte die Wellen ihre Lieder sangen.
Warum du, Perdor? Jeden anderen hätte ich gehen lassen können. Aber warum mussten sie dich nehmen für ihr grausiges Ritual?
Die Tränen auf meinen Wangen spürte ich nicht, ebenso wenig die Nässe auf meiner Brust. Ich umschlang den toten Körper, wollte es nicht glauben, schrie ihn an. Schrie dich an, Piama.
Göttin, die uns alle verlassen hast schon vor so langer Zeit.
Warum tust du mir das an? Warum nimmst du mir meinen Geliebten? Gönnst du ihn mir nicht, weil du selbst keinen hattest?
Was auch immer die
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