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2012 – Das Ende aller Zeiten

2012 – Das Ende aller Zeiten

Titel: 2012 – Das Ende aller Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian D’Amato
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ungelöschten alten eigenen verwechselt. Vielleicht hatte sich der arme Honduraner gewundert, ob er nun er selbst war oder Tony Sic oder einfach verrückt. Im letzten Jahr allerdings war eine Lösung des Problems gefunden worden, und zwar eine ganz simple: massive Redundanz. Das Gehirn speichert eine bestimmte Erinnerung oder bestimmte Fertigkeiten oder was auch immer nicht an einer einzigen Stelle. Sie sind über unterschiedliche neuronale Netze und manchmal sogar unterschiedliche Kortizes verteilt. Daher sendeten wir jedes Gamma-Datenpaket sehr, sehr oft. Wenn eine meiner Erinnerungen nicht im einen Teil vonSoledads gelöschtem Gehirn Halt fand, hatte es eine gute Chance, beim nächsten Versuch von einem anderen Teil aufgenommen zu werden. Diese Strategie machte sich auch die Tatsache zunutze, dass das Gedächtnis dazu neigt, nichts zu überschreiben. Wenn sich die Neuronen also gleich nach der Waschwelle in ihrem verwirrten Amnesiezustand befanden, bildeten sie neue Verknüpfungen besonders eifrig. Aber sobald eine Mikroregion des Gehirns Erinnerungen codiert hatte, blieben sie dort mehr oder weniger haften, und die nächste induzierte Erinnerung musste sich ein anderes Plätzchen suchen.
    Wenn Soledads Gehirn noch intakt war, sollte alles, was ich brauchte, um ich zu sein, sich irgendwo ansiedeln können. Auch wenn das alte Sprichwort, wir nutzten nur ungefähr zehn Prozent unseres Gehirn, nicht so ganz stimmt, ist trotzdem noch immer reichlich viel Platz darin. Nicht dass es diesmal eine Rolle spielte. Außerdem trafen die Wellen über mehrere Stunden verteilt ein, sodass ihr Hirn nicht gekocht wurde. Stattdessen würde es so etwas wie eine Serie von lokalen Schlaganfällen erleiden – die zu begrenzt stattfanden, um das Bewusstsein zu unterbrechen – und auf der Stelle mit der Selbstreparatur beginnen. Es würde neue Verknüpfungen bilden und neue Routinen abfahren. Das EEG würde sich stabilisieren. Und während es weiterlebte – besonders in den ersten Stunden, aber auch noch Tage später –, würde es duplizierte Erinnerungen verwerfen, um Platz für neue zu schaffen. Es würde reagieren und lernen und normal funktionieren. Auf die gleiche Art, in der ein schlafendes Gehirn dem zufälligen Feuern der sensorischen und motorischen Nerven Sinn eingibt, indem es das Rauschen in einen mehr oder weniger zusammenhängenden Traum umwandelt, würde das Gehirn der Abadesa sich heilen, indem es neue Erinnerungen aufbaute, die mit den meinen übereinstimmten, und würde sogar ein Weltverständnis konstruieren, das dem meinen sehr genau entsprach – so sehr, dass es sich für mich halten würde. Doch ihr neu verdrahtetes Gehirn würde das meine niemals genau nachbilden. Es wäre eher, als würde sie sich einen unglaublich detailreichen Film über mein Leben ansehen, um beim Verlassen des Kinos zu bemerken, dass sie sich an ihr eigenes Leben nicht mehr erinnern konnte, und stattdessen zu glauben beginnen, sie hätte meines gelebt.Wenn alles gut ging, würde sie sich nicht einmal eines Unterschieds bewusst sein. Sie würde auf ihrem Strohlager liegen und ihr Kruzifix anstarren, und dann würde sie zu vergessen beginnen. Ihr Gesicht fühlte sich warm an wegen des verstärkten Blutflusses durch die Wirbelarterie und die Halsschlagadern, weil Millionen Neuronen bis an den Rand der Erschöpfung immer wieder feuerten. Technisch käme es kurzzeitig zu heftiger neuronaler Aktivität und dann einer längeren Phase der refraktären Unterdrückung. Ihre Atmung, Verdauung und alles andere würde, vermutlich jedenfalls, normal weiterfunktionieren, doch sie würde langsam vergessen, wer sie war, wo sie war und wie man sprach. Doch dann würden, wie bei Muskeln, die sich nach dem Anheben einer schweren Last reparieren, ihre Neuronen neue Verbindungen knüpfen, und nach kurzer Zeit hätte sie das Gefühl einer Identität erstellt, die ich, könnte ich ihr begegnen, als meine eigene wiedererkennen würde.
    Aber natürlich würde ich ihr niemals begegnen. Im Jahr 1686 würde die Äbtissin noch zwei Tage leben, einige Dinge tun – geheime Dinge, die noch nicht in unserer Geschichte niederlegt waren – und dann pünktlich sterben. Man würde sie in dem Habit aufbahren, in dem sie dahingeschieden war, ohne sie einzubalsamieren oder auch nur zu waschen – damals vertrauten die Bräute Christi darauf, dass ihre immerwährende Reinheit sie vor der Verwesung bewahrte –, und ein Jahr lang in einem gut gelüfteten Raum im almácen

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