2012 – Das Ende aller Zeiten
sie nicht hereinkommen sehen. Wir grüßten zurück. Sie gab die Grüße weiter, loggte sich aus und schob ihr Netphone – einen neuen, sperrigeren, verschlüsselten Apparat mit schwarzem Gehäuse – in eine kleine Tasche mit Klettverschluss an ihrem Ärmel.
»Entschuldigung«, sagte Marena. »Was war San Martín noch mal?«
»Ein Vulkan«, sagte Michael. »An der Küste bei Vera Cruz. Ungefähr zum Zieldatum hat es dort einen Ausbruch gegeben.«
»Ach ja«, sagte sie, »stimmt.«
»Nun – ich wollte es gerade Jed sagen – die Jahresringanalysekonnte das Datum nicht genau feststellen«, fuhr er fort. »Aber die Abteilung Connecticut Yankee hat soeben etwas Großartiges geschickt«, sagte er. »Richten Sie Ihre Gucker mal hierhin.« Er drehte den Monitor herum, damit ich es sehen konnte. Es zeigte die erste Zeile eines Scans von irgendeinem englischen liturgischen Dokument:
Calendis aprilibus postridie quin
Ich drückte auf
TRANSKRIPTION
:
calendis aprilibus[,] postridie quinque panum multiplicationem [,] anno consecrationis praesulis nostri wilfredi[,] anno domini DCLXIVU indictione V…
Hmm, okay, dachte ich. Ich drückte
Englische Übersetzung durch SRM/CSFU:
[Chroniken, Columcille (Abtei, Iona, Schottische Hebriden)]
An den Kalenden des April, am Tag nach der Vermehrung der fünf Brote, im Jahr der Weihe unseres Bischofs Wilfred, dem Jahr des Herrn 664, der fünften Indiktionsperiode, wurde Folgendes Oswiu Herr [von Northumbrien] vorgebracht: Wir erbitten Deine Gnade[,] dass Du uns die Bürde unserer Abgaben für die Dauer von sechzig Tagen erlässt[,] da der Herr der Heerscharen unserer Gemeinde Warnungen vor den Sünden der Erde und dem bald bevorstehenden Jüngsten Gericht zukommen ließ[,] nämlich[:] Erstens[,] dass vor sieben Morgen, am dritten Tag des Herrn nach der Bezeichnung mit dem Aschekreuz [d.
h. am 24.
März 664] unsere Novizen[,] als sie ihre Morgenhore beendeten [ca.
7.15 Uhr] von dem Donner eines Sommergewitters aufgeschreckt wurden[,] obwohl der Himmel klar war. Zweitens[,] dass am folgenden Tag vor der Stunde des Pan [Mittag] Paulus[,] Pastor [von Iona] und auch anderer Weiler an der Küste und [als Begleiter einer Anzahl] Heischende[r] [d.
h. Flüchtlinge], die zu Fuß die lange Reise auf sich genommen hatten, in großer Angst und
K
rankheit zu unserer Abtei kamen und um Almosen baten[,] während ihnen nur Klagen über die Lippen kamen, denen zufolge sie sich von unserem Erlöser verlassen wähnten[,] da zur Matutin [ca.
5.00 Uhr] eine gewaltige Welle wie vom Rumpfe des Leviathans an alle Strände des Westens geprallt sei[,] gefolgt von zwei weiteren [Wellen] abnehmender Stärke[,] sodass die Häfen beider Städte und alle Fischerboote und Frachtkähne zerstört wurden[,] vier freie Bürger und neunzehn Seelen [d.
h. Hörige] ertranken und eine unbekannte Anzahl hungerte und noch immer hungert, und Gott habe Gnade mit ihnen allen
…
»Ist das nicht ein Hammer?«, fragte Michael. »Das bedeutet, dass wir die Eruption auf die Stunde genau datieren können.«
»Äh …«, begann ich.
»Großartig«, sagte Ana. Es klang nicht überzeugt. Sie war ebenfalls herübergekommen und las über meine Schulter hinweg. Draußen hinter der blauen Türplane war der Tag dunkel geworden. Ich hörte leises Donnergrollen.
»Wie lange braucht eine Welle, um den Ozean zu überqueren?«, fragte Marena.
»Äh, Irland ist ungefähr achttausend Kilometer von Veracruz entfernt. Die Welle muss sich mit etwa sechshundertvierzig Stundenkilometern ausgebreitet haben«, antwortete ich. »Richtig? Wenn also – «
»Das wurde ausgerechnet«, sagte Michael. »Die Haupteruption war … Augenblick. Gegen vier Uhr dreißig am Morgen des 22. März. Ortszeit.«
»Das ist wirklich brauchbar«, sagte ich.
»Ja, absolut beeindruckend«, sagte Marena.
»Außerdem sollten Sie wissen«, fuhr Michael fort, »dass Taro sagt, die Jungs damals diesen Ausbruch nicht vorhergesagt haben. Sie wissen, dass das Opferspiel bei Naturereignissen nicht besonders funktioniert.«
»Es sei denn, der Addierer kennt sich mit Naturereignissen sehr gut aus«, erwiderte ich.
»Stimmt.«
»Sagten sie denn, sie seien sicher, dass die Leute in Ix die Eruption gespürt haben?«, fragte ich.
»Sie sagen, es war eine acht Komma fünf«, antwortete er. »Man muss es noch in Panama bemerkt haben.«
»Okay.«
»Außerdem – vergessen Sie das nicht – ist diese Sonnenfinsternis nur ein paar Wochen
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