2012 – Das Ende aller Zeiten
Mensch und Maschine stehen werde …
»Aber ich glaube nicht, dass er jemals einen menschlichen Spieler übertrumpfen wird«, fuhr er fort. »Selbst wenn LEON , was die Rechenleistung angeht, jemals so groß wird wie ein menschliches Gehirn – selbst wenn er so schlau wird wie ein menschliches Gehirn –, heißt das noch lange nicht, dass er dann auch die gleiche Intuition besitzt.«
Das Opferspiel ähnelte dem japanischen Go und unterschied sich von Schach insofern, dass Menschen es nach wie vor besser spielten als Computer. Schon ein fortgeschrittener Anfänger kann das beste Go-Programm der Welt schlagen. Und Go ist ein gut zu beschreibendes Spiel; es entspricht fast dem, was Programmierer eine »saubere Umwelt« nennen. Das Opferspiel hingegen ist weitaus stärker mit der Welt verbunden und damit ein paar Millionen Mal schwieriger zu programmieren.
»Stell dein Licht nicht unter den Scheffel«, sagte ich, »oder wenigstens nicht vor irgendwelchen Finanzausschüssen …«
»Man vermutet es jedenfalls schon«, sagte er. »Deshalb sind wir so … haben wir uns einer Firma angeschlossen. Wie auch immer, in diesem Stadium nutzt LEON uns vor allem als Assistent.« Er führte mich zu einer Reihe von OLED -Monitoren. »Mit seiner Hilfe lässt sich die Leistung von neuen Addierern verbessern. Wie bei Zentaurenschach.« So nennen es Schachspieler, wenn sie beim Spiel jeweils einen Computer zurate ziehen. Ich nickte.
Er setzte sich. Ich setzte mich.
»Wir arbeiten mit fünf studentischen Spielern«, sagte er. »Zwei von ihnen haben das Spiel gelernt – in Maya-Gemeinden –, die anderen sind hier ausgebildet worden. Einer von ihnen ist sehr vielversprechend. Er war vorher allerdings kein Addierer.« Ich wartete, dass er hinzufügte: »Trotzdem kann er dir bei Weitem nicht das Wasser reichen, du Ass«, aber er sagte es nicht. Stattdessen zeigte er mir ein paar Graphen und deutete auf die Spitzen im »weltweiten Ereignisraum«, wie wir es mangels eines eleganten Begriffs genannt hatten. Einfach ausgedrückt: Die Kurven bestätigten, dass das Spiel sich am besten auf die Vorhersage des Gruppenverhaltens in Krisensituationen verstand. »Das ist natürlich noch immer sehr nützlich«, sagte Taro, »und im Laufe der Zeit könnte es sich als außergewöhnlich profitabel erweisen.« Es sei jedoch nicht die Art Vorhersage, auf die es die Leute abgesehen hatten, die ihn finanzierten. Beispielsweise eigne das Spiel sich nicht besonders dazu, die Märkte per se vorherzusagen, sondern nur, was die Menschen an den Märkten tun . Man sollte meinen, es wäre das Gleiche, weil Märkte immer auf der Psychologie beruhen. Tatsächlichaber fließen zahlreiche nicht-menschliche Faktoren in Marktschwankungen ein: Fertigungsverzögerungen, Kapitalfluss, Wetter und so weiter, und dies alles mit der Psychologie in Einklang zu bringen erfordert Interpretationen, die einem Computer nur sehr schwer, vielleicht auch gar nicht beizubringen sind.
Also hatte Taro annähernd die gleichen Probleme wie ich. Aber trotzdem … mal angenommen, ihre simulierten Geschäfte stehen im Durchschnitt, sagen wir, 0,02 Prozent über dem Industriestandard, dann kann eine Firma dieser Größe damit immer noch ein paar Millionen pro Minute verdienen. Heutzutage würde selbst ein noch kleinerer Vorteil denjenigen, der ihn besitzt, zu einem marktverschlingenden Monstrum machen. Die Warren Group konnte auf dem besten Weg sein, zum reichsten Unternehmen der Welt zu werden. Obwohl man annehmen sollte, dass sie es mittlerweile schon war. Vielleicht gab sie mehr Geld aus, als sie angab. Das hätte auch erklärt, weshalb sie solche Geheimniskrämerei betrieb, was das Spiel angeht. Normalerweise würde man mit seinen Investitionsergebnissen prahlen wie eine Tüte Mücken, es sei denn, es gäbe einen oder mehrere handfeste Gründe, dies zu unterlassen. Heutzutage tut niemand spieltheoretische Studien von vornherein ab. Nein, jeder versucht, selber ein Stück vom Kuchen einzuheimsen. Den nächsten Johnny von Neumann möchte sich jeder für sich selbst sichern.
Vielleicht will man bei Warren gar nicht an das Geld anderer Leute kommen, überlegte ich weiter, sondern nur das eigene Vermögen mehren. Vielleicht möchten Lindsay Warren und einige Vorstandsmitglieder die ausgegebenen Aktien still und heimlich zurückkaufen, ehe etwas durchsickert. Oder man befürchtet, dass der Staat die Firma an die Leine legt, wenn herauskommt, dass man über etwas militärisch
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